Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Kordula Schulz-Asche (KV Main-Taunus) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2016, 14:18 |
V-39: Antibiotika retten Leben - Resistenzentwicklung endlich verhindern
Antragstext
Antibiotika zählten bislang zu den wirkungsvollsten und am häufigsten verordneten
Medikamenten zur Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten bei Menschen und Tieren.
Sie sind unersetzliche Helfer und Lebensretter. In Deutschland allein werden pro Jahr im
Humanbereich ca. 250 bis 300 Tonnen Antibiotika verordnet – mindestens 30 Prozent sind davon
völlig unnötig. Im Veterinärbereich liegt diese Antibiotikaabgabe sogar noch höher.
Besorgniserregend ist vor allem auch, dass sowohl in der Human- als auch in der
Veterinärmedizin immer mehr auf Reserveantibiotika zurückgegriffen wird.
Der leichtfertige Einsatz hat zur Folge, dass immer mehr Antibiotika ihre Wirkung verlieren
und kein Medikament gegen die multiresistenten Keime mehr wirkt. Die Auswirkungen bekommen
wir bereits heute schon zu spüren: In Deutschland enden weit über 15.000
Krankenhausinfektionen tödlich. So wundert es auch nicht, dass nach einer repräsentativen
Umfrage des Asklepios-Konzerns mittlerweile immer mehr PatientInnen Angst vor einer
Ansteckung mit multiresistenten Keimen haben. So rangiert diese Angst (65 %) bei
PatientInnen bereits vor Behandlungsfehlern (49 %) oder verunreinigtem Operationsbesteck (35
%). Das belastet nicht nur die Gesundheit der PatientInnen und Angehörigen, sondern bedeutet
auch enorme Kosten für die Gesundheitssysteme.
Die Antibiotika-Resistenzen sind weltweit zu einer ernsten Bedrohung für die Gesundheit der
Menschen geworden. Sollte die Resistenzentwicklung in dem augenblicklichen Tempo weiter
voranschreiten, werden im Jahr 2050 weltweit 10 Millionen Menschen an Infektionen durch
multiresistente Erreger sterben, davon 390.000 in Europa. Die Weltgesundheitsorganisation
spricht bereits vom „Post-antibiotischen Zeitalter“. Viel zu lang wurde diese riskante
Entwicklung verdrängt und das Leben von einer immer wachsenden Zahl von Menschen gerät in
Gefahr.
Die Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie DART 2020 der Bundesregierung hat zwar das
Problem erkannt, jedoch schmälert das Fehlen der finanziellen Untersetzung, einer festen
Zeitschiene und einer Evaluation zur Umsetzung einzelnen Maßnahmen den Erfolg dieser
Strategie. Die komplexen Zusammenhänge zwischen Mensch, Tier, Umwelt und Gesundheit müssen
beim Thema Antibiotika besonders im Vordergrund stehen und erfordern eine enge Abstimmung
zwischen den in diesen Bereichen tätigen Berufsgruppen. Gerade in der Massentierhaltung, wo
Antibiotika nicht nur zur Behandlung eingesetzt werden, sondern teilweise auch, um
strukturelle und hygienische Mängel auszugleichen, herrscht Handlungsbedarf. Bei der
Bekämpfung der Resistenzen muss also auch ein umfassender Ansatz verfolgt werden.
Eines der Hauptgründe für die heutige Situation ist auch die unzureichende
Antibiotikaforschung. Seit den siebziger Jahren hat die Pharmaindustrie die Neuentwicklung
von Antibiotika aus Kostengründen gescheut. Zum einen müssen die neuen Antibiotika möglichst
billig gerade in Entwicklungsländern angeboten werden, wo es viele Infektionskrankheiten
gibt. Zum anderen sollen Antibiotika auch möglichst selten eingesetzt werden, damit keine
neuen Resistenzen entstehen. Das schränkt die Gewinnaussichten der Pharmaindustrie stark ein
und führt zu einem deutlichen Marktversagen.
Was jetzt zu tun ist:
1. Internationaler Forschungsfond zur Entwicklung neuer antibakterieller Therapien
Um den Forschungsstillstand bei Antibiotikapräparaten zu beenden, wollen wir die Kooperation
von öffentlicher und privater Forschung für die antibakterielle Therapieentwicklung stärken.
Wir wollen dazu einen internationalen transparenten Forschungsfonds an der Seite der WHO
aufbauen, in den öffentliche, private und Stiftungsgelder fließen. Der Fonds garantiert
zudem, dass neue Antibiotika ohne Patente und damit ohne exklusive Nutzungsrechte preiswert
hergestellt werden können.
2. Flächendeckende Aufklärung notwendig
Wir brauchen eine Aufklärungsoffensive für den bewussten Umgang mit Antibiotika und über die
Risiken multiresistenter Erreger. Viel zu oft, viel zu viel und zu falsch werden zum
Beispiel gegen Viren-Infektionen Antibiotika verlangt und verschrieben, obwohl der
medizinische Nutzen nicht gegeben ist. Besonders für die Verbraucherinnen und Verbraucher
aber auch für die Gesundheitsberufe könnte eine solche Aufklärungskampagne beispielsweise
von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt werden. Frankreich hat es
eindrucksvoll gezeigt: Mit einer flächendeckenden Medien-Kampagne konnte die
Antibiotikaverordnung in der ambulanten Krankenversorgung um 26,5 Prozent reduziert werden.
Das muss auch unser Ziel werden.
3. Verschreibung im ambulanten Bereich reduzieren
Ein enormes Einsparpotenzial besteht im ambulanten Bereich, wo über 80 Prozent der
Verordnungen von Antibiotika getätigt werden. Die Diagnostik muss der erste Schritt sein, um
gezielt wirkende Antibiotika einsetzen zu können; leider ist heute die Diagnostik oft teurer
als die Therapie und entfällt häufig. Zudem steigt auch der Einsatz von Reserveantibiotika,
obwohl diese für Menschen mit multiresistenten Keimen vorbehalten sein müssen und provoziert
damit weitere Resistenzentwicklung. Niedergelassene Ärzte brauchen, wie in anderen Ländern
wirksam erprobt, ein Feedback zu ihrem Verschreibungsverhalten. Aufklärung bezüglich
Auswahl, Dosierung, Applikation und Anwendungsdauer können durch Programme wie das
Antibiotic Stewardship Programme (ABS) geleistet werden. Hier beraten multidisziplinäre
Teams Klinikkolleg*Innen, ob und wann welches Antibiotikum verabreicht werden sollte. Mit
solchen geballten Anstrengungen könnten im ambulanten Bereich bis zu 50 Prozent der
Antibiotikaverordnungen eingespart werden.
4. Mehr Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Auch im stationären Bereich besteht enormes Einsparpotenzial. In Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen bedrohen resistente Keime besonders schwache Patientinnen und Patienten,
die zudem oft besonders guter Pflege bedürfen. Bereits bei stationären Aufnahmen muss eine
gründliche Anamnese in Kombination mit Screening-Verfahren für Risikopatientinnen erfolgen.
Gute Hygiene kann nur bei ausreichendem Personal umgesetzt werden. Daher wollen wir
Personalbemessungsinstrumente und Personalmindeststandards in der Pflege, insbesondere auf
Intensiv- und Kinder-Intensivstationen. Nur durch Personalstandards in Krankenhäuser und
Einrichtungen kann gute Pflege ermöglicht und das Risiko der Keimübertragung auf ein Minimum
reduziert werden. Zudem braucht es regelmäßiger Fort- und Weiterbildung des Personals in
Gesundheitseinrichtungen.
5. Sofortiges Verbot von Reserve-Antibiotika in der Massentierhaltung
Deutschland zählt beim Einsatz von Antibiotika zusammen mit Ländern wie Zypern, Italien,
Spanien und Ungarn zu den Großverbrauchern von Antibiotika in der Tierhaltung. Besonders
verwerflich ist der sogar ansteigende Einsatz von Reserve-Antibiotika, die für erkrankte
Menschen vorbehalten sein müssen. Wir brauchen endlich verbindliche Reduzierungsziele für
den Antibiotikaeinsatz und ein Verbot des Einsatzes von Reserveantibiotika im Tierbereich.
Zudem muss die artgerechte Tierhaltung mit niedrigen Bestandsobergrenzen, angemessenem
Leistungsniveau, mit mehr Auslauf, Platz, Licht, Beschäftigung sowie intensiver
Bestandsbetreuung verbessert werden.
Wir setzen uns ein für eine Antibiotika-Strategie auf internationaler, nationaler Ebene bis
hin zu den Gesundheitsämtern, die kein Wünsch-Dir-Was-Katalog ist, sondern eine solide
Finanzierung, eine feste Zeitschiene für die Umsetzung sowie stärkere Kontrollen und eine
regelmäßige Evaluation umfasst.
Begründung
.
Weitere Antragsteller*innen
- Friedrich Ostendorff (KV Coesfeld)
- Maria Klein-Schmeink (KV Münster)
- Steffi Lemke (KV Dessau-Rosslau)
- Ursula Hammann (KV Groß-Gerau)
- Daniela Wagner (KV Darmstadt)
- Kai Klose (KV Rheingau-Taunus)
- Dr. Bettina Hoffmann (KV Schwalm-Eder)
- Bastian Bergerhoff (KV Frankfurt)
- Sylvia Momsen (KV Frankfurt)
- Martin Kirsch (KV Gießen)
- Karsten McGovern (KV Marburg-Biedenkopf)
- Dr. Thomas Friedrich Weigel (KV Wiesbaden)
- Monika von der Brüggen (KV Frankfurt)
- Thorben Sämann (KV Lahn-Dill)
- Andreas Köhler (KV Frankfurt)
- Jutta Bruns (KV Hochtaunus)
- Jochen Strauß (KV Frankfurt)
- Katrin Schleenbecker (KV Gießen)
- Klaus Becker (KV Gießen)
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