Antrag: | Berufliche Bildung gerecht gestalten – Gute Ausbildung für alle garantieren |
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Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 20.10.2016) |
Status: | Von der Antragskommission geprüft |
Eingereicht: | 21.10.2016, 13:50 |
SO-06-004 zu SO-06 (vormals V-33): Berufliche Bildung gerecht gestalten – Gute Ausbildung für alle garantieren
Antragstext
Von Zeile 3 bis 5:
Bildungsgerechtigkeit betrifft dabei nicht nur Kitas, Schulen und Hochschulen. Bundesweit beginnen jedes Jahrsind etwa 1,5 Millionen Menschen eine beruflichein einer beruflichen Ausbildung. Sie spielt damit eine große Rolle beim Start junger Menschen ins Berufsleben. Damit trägt das duale System
Bildung ist ein Menschenrecht und damit ein zentraler Schlüssel zur Gestaltung einer
gerechteren Zukunft. Dieser Herausforderung muss sich Grüne Politik mit aller Kraft widmen.
Bildungsgerechtigkeit betrifft dabei nicht nur Kitas, Schulen und Hochschulen. Bundesweit
beginnen jedes Jahrsind etwa 1,5 Millionen Menschen eine beruflichein einer beruflichen Ausbildung. Sie spielt damit
eine große Rolle beim Start junger Menschen ins Berufsleben. Damit trägt das duale System
entscheidend zur niedrigen Jugendarbeitslosigkeit bei und bietet Jugendlichen wie Betrieben
gute Zukunftsperspektiven. Zu Unrecht fristet die Berufliche Bildung in der
gesellschaftlichen Debatte oft ein Schattendasein. Grüne Politik fördert deshalb die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Sie setzt sich ein für die
gegenseitige Anerkennung und macht sich für gute Ausbildungsbedingungen stark – egal ob im
Studium oder in der Berufsausbildung. Denn klar ist: berufliche und akademische Bildung
müssen gleichwertig sein.
Bildungsgerechtigkeit ist für uns das Gegenteil von exklusiver Elitenförderung. Die
Gleichgültigkeit gegenüber sozialer Spaltung lehnen wir entschieden ab. Denn jede*r hat das
Recht auf eine gute Ausbildung, unabhängig von regionaler oder sozialer Herkunft. Um echte
Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, muss die Spitze breiter und Zugänge geöffnet werden.
Herkunft darf im Jahr 2016 nicht mehr über Zukunft entscheiden.
Die Berufliche Bildung steht damit vor großen Herausforderungen. Die demografische
Entwicklung und die stabile Konjunktur haben zwar dazu geführt, dass die Chancen auf einen
Ausbildungsplatz auch für gesellschaftlich benachteiligte Jugendliche theoretisch gestiegen
sind. Dennoch ist der Schritt in eine Ausbildung für viele Jugendliche noch zu groß, weil
sie auf ihrem Weg nicht ausreichend unterstützt werden. Jedes Jahr landen über eine viertel
Million junger Menschen in den Maßnahmen des Übergangsbereichs statt in Berufsschule und
Betrieb. Zehntausende gehen bei ihrer Suche sogar komplett leer aus. Insbesondere für junge
Menschen ohne oder mit niedrigem Schulabschluss ist die Suche nach einer Lehrstelle oft sehr
frustrierend. Gleiches gilt für Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte. Seit Jahren
bestätigen zahlreiche Studien, dass sie beim Zugang zum Ausbildungsmarkt strukturell
diskriminiert werden. Auch junge Frauen sehen sich häufig mit Vorurteilen und
Diskriminierungserfahrungen konfrontiert, die ihnen die Berufswahl und den Sprung in den
Betrieb erschweren. In einer aufgeklärten Gesellschaft und modernen Bildungsrepublik sind
derartige Missstände in der Ausbildung inakzeptabel und wir wollen sie entschieden
bekämpfen.
Doch auch wer einen Ausbildungsplatz gefunden hat, ist häufig mit Schwierigkeiten in Betrieb
und Berufsschule konfrontiert: unbezahlte Überstunden, Verstöße gegen das
Jugendarbeitsschutzgesetz oder mangelhafte Betreuung und die chronische Unterfinanzierung
der beruflichen Schulen sind nur einige Probleme, denen Auszubildende begegnen.
Bildungsgerechtigkeit bedeutet für uns deshalb ein zweifaches: Alle
ausbildungsinteressierten Jugendlichen haben das Recht auf einen Ausbildungsplatz, der sie
auf direktem Weg zu einem vollqualifizierenden Abschluss führt. Sie haben aber gleichzeitig
auch den Anspruch auf gute Ausbildungsbedingungen. Es ist die Aufgabe der Politik gemeinsam
mit den Sozialpartnern dieses Recht auf gute Ausbildung für alle jungen Menschen umzusetzen.
Damit die Berufliche Bildung auf dem Weg zu einer (bildungs-)gerechten Gesellschaft ihr
ganzes Potenzial entfalten kann, möchten wir das duale System im Sinne der jungen Menschen
vom Kopf auf die Füße stellen. Unser Ziel ist ein gerechtes, vielfältiges und solidarisches
System der Beruflichen Bildung, in dem Gleichberechtigung und gute Ausbildungsbedingungen
selbstverständlich sind. Wir sagen: Was zählt, ist nicht woher jemand kommt, sondern wohin
jemand will.
Wir fordern deshalb:
- Ausbildungsgarantie umsetzen: Jeder junge Mensch hat das Recht auf eine gute
Ausbildung. Damit dieses Recht endlich für alle Wirklichkeit wird, brauchen wir eine
echte Ausbildungsgarantie, die alle ausbildungsinteressierten Jugendlichen von Beginn
an zu einem anerkannten Berufsabschluss führt. Durch die langfristige und intensive
Betreuung von Jugendlichen schon in der Schule und gezielte Vermittlung soll ihnen der
Weg in eine Ausbildung erleichtert werden.
- Übergangssystem umbauen: Dazu muss der teure und ineffiziente Maßnahmendschungel am
Übergang Schule-Beruf abgebaut werden. Sinnvolle unterstützende Instrumente wie die
Assistierte Ausbildung und ausbildungsbegleitende Hilfen möchten wir ausbauen, damit
mehr Jugendlichen eine Ausbildung im Betrieb gelingt. Alle übrigen Maßnahmen sollen in
die überbetriebliche Ausbildung überführt werden. Die Lerninhalte werden dabei so
strukturiert, dass keine Leistung mehr ohne Anrechnung bleibt. Mit intensiver
fachlicher und sozialpädagogischer Betreuung wird sichergestellt, dass jeder junge
Mensch optimal beim Lernen unterstützt wird. Auch die überbetriebliche Ausbildung
führt zu einem gleichwertigen, vollqualifizierenden Berufsabschluss.
- Gute Ausbildungsbedingungen und -qualität sicherstellen: Wir stellen uns entschieden
gegen jede Form der Ausbeutung und treten für gute und faire Arbeitsbedingungen ein –
auch und gerade in Ausbildungsverhältnissen. Unbezahlte Überstunden, ausbildungsfremde
Tätigkeiten und Verstöße gegen den Jugendarbeitsschutz dienen nicht der Ausbildung der
Auszubildenden, sondern lediglich dem Profit des Unternehmens. Sie sind deshalb nicht
zu akzeptieren. Wir fordern eine umfassende Richtlinie für Betriebe und Sozialpartner,
die allgemein gültige Qualitäts- und Mindeststandards und die gemeinsamen Ziele der
Berufsausbildung festlegt. Zudem fordern wir die Kammern auf, entschieden gegen
etwaiges Fehlverhalten ihrer Mitglieder vorzugehen und dieses ggfs. auch zu
sanktionieren. Als mitgliederfinanzierter Zusammenschluss von Unternehmen sind die
Kammern bei der Kontrolle von Mindeststandards und Ausbildungsbedingungen natürlich in
einem Interessenkonflikt. Dieser Konflikt muss vor allem im Hinblick auf die
Berufsbildungsausschüsse aufgehoben werden, indem deren Zusammensetzung und Arbeit auf
eine rechtliche und von den Kammern unabhängige Grundlage gestellt wird. Nur so kann
wirksam sichergestellt werden, dass Maßnahmen und verbindliche Regeln gegenüber
Unternehmen durchgesetzt werden.
- Diskriminierung beenden: Niemand darf aufgrund seiner/ihrer ethnischen oder
kulturellen Herkunft, des sozialen Status, Geschlechts, der Hautfarbe, sexuellen
Orientierung oder einer möglichen Behinderung benachteiligt werden. Dieser Grundsatz
gilt selbstverständlich auch in der Beruflichen Bildung. Um echte Zugangsgerechtigkeit
herzustellen, sind flexible und passgenaue Angebote für Menschen mit speziellem
Förderbedarf deshalb weiter auszubauen. Insbesondere für Auszubildende mit Kindern, zu
pflegenden Angehörigen oder anderen Verpflichtungen fordern wir ein Recht auf
Teilzeitausbildungen. Um die strukturelle Ungleichbehandlung von Menschen mit
Migrationshintergrund abzubauen, können anonymisierte Bewerbungsverfahren darüber
hinaus einen wichtigen Beitrag leisten, damit junge Menschen in Zukunft nach Kompetenz
und Potenzialen, und nicht nach Namen und Postleitzahl ausgewählt werden.
Anonymisierte Bewerbungsverfahren sollten deshalb zur Regel werden.
- Teilhabe voranbringen: Die Berufliche Bildung bietet aufgrund ihrer
betriebspraktischen Ausrichtung vielfältige Chancen für junge Geflüchtete. Der Weg zum
Ausbildungsvertrag scheitert heute aber noch viel zu oft an unverantwortlichen sozial-
und aufenthaltsrechtlichen Hürden. Eine berufliche Ausbildung kann für alle
Geflüchtete ein wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten Leben sein, unabhängig
von ihrer Bleibeperspektive. Eine Differenzierung nach Bleibeperspektive lehnen wir
deshalb entschieden ab. Damit tatsächlich allen ausbildungsinteressierten Geflüchteten
breite Wege in die Ausbildung geöffnet werden, fordern wir die Öffnung aller
Förderinstrumente ohne Voraufenthaltszeit und unabhängig von Aufenthaltsstatus oder
Bleibeperspektive. Ausbildungsinteressierte Geflüchtete sollen im Rahmen einer
Ausbildungsvorbereitungsphase bereits vor Abschluss eines Ausbildungsvertrages ein
Bleiberecht erhalten, das sie vor Abschiebung schützt. Statt der derzeitigen
Duldungsregelung fordern wir für die Zeit der Berufsausbildung und die anschließende
Beschäftigung einen rechtsicheren Aufenthaltstitel, der echte Planungssicherheit für
Geflüchtete und Betriebe garantiert und zu einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis
führt.
- Geschlechtergerechtigkeit erreichen: Zahlreiche Berufe gelten auch heute noch als
„typisch männlich“ oder „typisch weiblich“. Derartige Klischees sind hauptursächlich
für geschlechtsspezifisches Berufswahlverhalten bei Jugendlichen. Während „typisch
männliche“ Ausbildungsberufe, beispielsweise in der Industrie, in der Regel deutlich
besser vergütet werden und aufgrund des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades
bessere Ausbildungsbedingungen aufweisen, sind Frauen in „typisch weiblichen“
Ausbildungsberufen überproportional häufig von schlechter Bezahlung, Qualitätsmängeln
in der Ausbildung und prekärer Beschäftigung betroffen. Wir fordern, dass endlich
Schluss ist mit Geschlechterklischees und daraus resultierenden Ungerechtigkeiten. Das
bedeutet, dass die Ausbildungs- und spätere Arbeitsbedingungen in „typisch weiblichen“
Ausbildungsberufen dringend verbessert werden müssen. Außerdem müssen bestehende
Barrieren abgebaut und frühzeitige, interessenbezogene Vorbereitung auf die Lebens-
und Arbeitswelt in Form praxisnaher und gendersensibler Berufsorientierung an allen
Schulformen flächendeckend etabliert werden.
- Mitbestimmung stärken: Auszubildende sind Jugendliche und junge Erwachsene. Sie haben
eigene Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche und können diese auch artikulieren. Ihre
Stimme muss deshalb gehört und ihre Anliegen müssen ernst genommen werden. Bestehende
Möglichkeiten der Azubi-Mitbestimmung sind deshalb weiter auszubauen. Wir setzen uns
für die Senkung der Hürden zur Einrichtung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen,
deren dauerhaftes Stimmrecht in Betriebsratssitzungen sowie den Ausbau
niedrigschwelliger Beschwerdemöglichkeiten und die Ausweitung des
Betriebsratswahlrechts auf minderjährige Auszubildende ein.
- Ausbildung gerecht finanzieren: Die Ausbildung junger Menschen ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der insbesondere die Wirtschaft ein übergeordnetes
Interesse haben muss. Grundsätzlich gilt: nur wer gut ausbildet, erhält die Fachkräfte
von morgen. Dennoch ziehen sich immer mehr Betriebe aus der Ausbildung zurück. Wir
möchten die gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme von Betrieben zur Finanzierung
der Ausbildung sicherstellen. Um die Ausbildungsbeteiligung dauerhaft zu erhöhen und
damit Betrieben wie Jugendlichen gute Perspektiven zu sichern, befürworten wir
branchen- und regionsspezifische Umlagen zur solidarischen Finanzierung der
Berufsausbildung.
- Azubis fair bezahlen: Auszubildende haben ein Recht auf faire Vergütung. Insbesondere
in so genannten klassischen „Frauenberufen“ ist die Ausbildungsvergütung so gering,
dass sie in keinem angemessenen Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht. Die
Unterschiede zwischen den Branchen, aber auch zwischen alten und neuen Bundesländern
sind enorm und verweisen damit auf ein zentrales Problem bei der Lohngerechtigkeit. So
liegt die durchschnittliche Ausbildungsvergütung im Bauhauptgewerbe (alte
Bundesländer) bei rund 1000 Euro, bei Friseur*innen (neue Bundesländer) bei nur bei
knapp 270 Euro. Wir fordern vor diesem Hintergrund eine Stärkung der Tarifautonomie
und eine damit verbundene Ausweitung des Geltungsbereichs tarifvertraglicher
Regelungen. Um grundsätzlich allen Auszubildenden ein eigenständiges Leben zu
ermöglichen, fordern wir ergänzend zu den einzelnen Tarifverträgen eine
Mindestausbildungsvergütung analog zum Mindestlohn. Solange Auszubildende nicht darauf
zählen können von der Ausbildungsvergütung eigenständig leben zu können, wollen wir
die Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende grundsätzlich besser nutzbar machen.
Die Höhe der Fördersätze muss dabei in einem realistischen Verhältnis zu den
tatsächlichen Lebenshaltungskosten stehen. Das Schulgeld für schulische
Berufsausbildungen gehört abgeschafft und die Finanzmittel entsprechend ersetzt.
Auszubildende müssen zudem insbesondere in teuren Ballungszentren dabei unterstützt
werden, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wir fordern vor diesem Hintergrund Bund,
Länder und Kammern auf, ein gemeinsames Finanzierungsmodell zu entwickeln, mit dem
Auszubildendenwohnheime aufgebaut und betrieben werden können.
- Weiter beschäftigen: Ausbildende Betriebe sollten ihre Auszubildenden nach
erfolgreichem Abschluss der Kammerprüfung grundsätzlich unbefristet
weiterbeschäftigen. Im Fall einer Nichtübernahme sollte der Auszubildende spätestens
drei Monate vorher vom Arbeitgeber informiert werden müssen.
Von Zeile 3 bis 5:
Bildungsgerechtigkeit betrifft dabei nicht nur Kitas, Schulen und Hochschulen. Bundesweit beginnen jedes Jahrsind etwa 1,5 Millionen Menschen eine beruflichein einer beruflichen Ausbildung. Sie spielt damit eine große Rolle beim Start junger Menschen ins Berufsleben. Damit trägt das duale System
Bildung ist ein Menschenrecht und damit ein zentraler Schlüssel zur Gestaltung einer
gerechteren Zukunft. Dieser Herausforderung muss sich Grüne Politik mit aller Kraft widmen.
Bildungsgerechtigkeit betrifft dabei nicht nur Kitas, Schulen und Hochschulen. Bundesweit beginnen jedes Jahrsind etwa 1,5 Millionen Menschen eine beruflichein einer beruflichen Ausbildung. Sie spielt damit
eine große Rolle beim Start junger Menschen ins Berufsleben. Damit trägt das duale System
entscheidend zur niedrigen Jugendarbeitslosigkeit bei und bietet Jugendlichen wie Betrieben
gute Zukunftsperspektiven. Zu Unrecht fristet die Berufliche Bildung in der
gesellschaftlichen Debatte oft ein Schattendasein. Grüne Politik fördert deshalb die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Sie setzt sich ein für die
gegenseitige Anerkennung und macht sich für gute Ausbildungsbedingungen stark – egal ob im
Studium oder in der Berufsausbildung. Denn klar ist: berufliche und akademische Bildung
müssen gleichwertig sein.
Bildungsgerechtigkeit ist für uns das Gegenteil von exklusiver Elitenförderung. Die
Gleichgültigkeit gegenüber sozialer Spaltung lehnen wir entschieden ab. Denn jede*r hat das
Recht auf eine gute Ausbildung, unabhängig von regionaler oder sozialer Herkunft. Um echte
Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, muss die Spitze breiter und Zugänge geöffnet werden.
Herkunft darf im Jahr 2016 nicht mehr über Zukunft entscheiden.
Die Berufliche Bildung steht damit vor großen Herausforderungen. Die demografische
Entwicklung und die stabile Konjunktur haben zwar dazu geführt, dass die Chancen auf einen
Ausbildungsplatz auch für gesellschaftlich benachteiligte Jugendliche theoretisch gestiegen
sind. Dennoch ist der Schritt in eine Ausbildung für viele Jugendliche noch zu groß, weil
sie auf ihrem Weg nicht ausreichend unterstützt werden. Jedes Jahr landen über eine viertel
Million junger Menschen in den Maßnahmen des Übergangsbereichs statt in Berufsschule und
Betrieb. Zehntausende gehen bei ihrer Suche sogar komplett leer aus. Insbesondere für junge
Menschen ohne oder mit niedrigem Schulabschluss ist die Suche nach einer Lehrstelle oft sehr
frustrierend. Gleiches gilt für Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte. Seit Jahren
bestätigen zahlreiche Studien, dass sie beim Zugang zum Ausbildungsmarkt strukturell
diskriminiert werden. Auch junge Frauen sehen sich häufig mit Vorurteilen und
Diskriminierungserfahrungen konfrontiert, die ihnen die Berufswahl und den Sprung in den
Betrieb erschweren. In einer aufgeklärten Gesellschaft und modernen Bildungsrepublik sind
derartige Missstände in der Ausbildung inakzeptabel und wir wollen sie entschieden
bekämpfen.
Doch auch wer einen Ausbildungsplatz gefunden hat, ist häufig mit Schwierigkeiten in Betrieb
und Berufsschule konfrontiert: unbezahlte Überstunden, Verstöße gegen das
Jugendarbeitsschutzgesetz oder mangelhafte Betreuung und die chronische Unterfinanzierung
der beruflichen Schulen sind nur einige Probleme, denen Auszubildende begegnen.
Bildungsgerechtigkeit bedeutet für uns deshalb ein zweifaches: Alle
ausbildungsinteressierten Jugendlichen haben das Recht auf einen Ausbildungsplatz, der sie
auf direktem Weg zu einem vollqualifizierenden Abschluss führt. Sie haben aber gleichzeitig
auch den Anspruch auf gute Ausbildungsbedingungen. Es ist die Aufgabe der Politik gemeinsam
mit den Sozialpartnern dieses Recht auf gute Ausbildung für alle jungen Menschen umzusetzen.
Damit die Berufliche Bildung auf dem Weg zu einer (bildungs-)gerechten Gesellschaft ihr
ganzes Potenzial entfalten kann, möchten wir das duale System im Sinne der jungen Menschen
vom Kopf auf die Füße stellen. Unser Ziel ist ein gerechtes, vielfältiges und solidarisches
System der Beruflichen Bildung, in dem Gleichberechtigung und gute Ausbildungsbedingungen
selbstverständlich sind. Wir sagen: Was zählt, ist nicht woher jemand kommt, sondern wohin
jemand will.
Wir fordern deshalb:
- Ausbildungsgarantie umsetzen: Jeder junge Mensch hat das Recht auf eine gute
Ausbildung. Damit dieses Recht endlich für alle Wirklichkeit wird, brauchen wir eine
echte Ausbildungsgarantie, die alle ausbildungsinteressierten Jugendlichen von Beginn
an zu einem anerkannten Berufsabschluss führt. Durch die langfristige und intensive
Betreuung von Jugendlichen schon in der Schule und gezielte Vermittlung soll ihnen der
Weg in eine Ausbildung erleichtert werden.
- Übergangssystem umbauen: Dazu muss der teure und ineffiziente Maßnahmendschungel am
Übergang Schule-Beruf abgebaut werden. Sinnvolle unterstützende Instrumente wie die
Assistierte Ausbildung und ausbildungsbegleitende Hilfen möchten wir ausbauen, damit
mehr Jugendlichen eine Ausbildung im Betrieb gelingt. Alle übrigen Maßnahmen sollen in
die überbetriebliche Ausbildung überführt werden. Die Lerninhalte werden dabei so
strukturiert, dass keine Leistung mehr ohne Anrechnung bleibt. Mit intensiver
fachlicher und sozialpädagogischer Betreuung wird sichergestellt, dass jeder junge
Mensch optimal beim Lernen unterstützt wird. Auch die überbetriebliche Ausbildung
führt zu einem gleichwertigen, vollqualifizierenden Berufsabschluss.
- Gute Ausbildungsbedingungen und -qualität sicherstellen: Wir stellen uns entschieden
gegen jede Form der Ausbeutung und treten für gute und faire Arbeitsbedingungen ein –
auch und gerade in Ausbildungsverhältnissen. Unbezahlte Überstunden, ausbildungsfremde
Tätigkeiten und Verstöße gegen den Jugendarbeitsschutz dienen nicht der Ausbildung der
Auszubildenden, sondern lediglich dem Profit des Unternehmens. Sie sind deshalb nicht
zu akzeptieren. Wir fordern eine umfassende Richtlinie für Betriebe und Sozialpartner,
die allgemein gültige Qualitäts- und Mindeststandards und die gemeinsamen Ziele der
Berufsausbildung festlegt. Zudem fordern wir die Kammern auf, entschieden gegen
etwaiges Fehlverhalten ihrer Mitglieder vorzugehen und dieses ggfs. auch zu
sanktionieren. Als mitgliederfinanzierter Zusammenschluss von Unternehmen sind die
Kammern bei der Kontrolle von Mindeststandards und Ausbildungsbedingungen natürlich in
einem Interessenkonflikt. Dieser Konflikt muss vor allem im Hinblick auf die
Berufsbildungsausschüsse aufgehoben werden, indem deren Zusammensetzung und Arbeit auf
eine rechtliche und von den Kammern unabhängige Grundlage gestellt wird. Nur so kann
wirksam sichergestellt werden, dass Maßnahmen und verbindliche Regeln gegenüber
Unternehmen durchgesetzt werden.
- Diskriminierung beenden: Niemand darf aufgrund seiner/ihrer ethnischen oder
kulturellen Herkunft, des sozialen Status, Geschlechts, der Hautfarbe, sexuellen
Orientierung oder einer möglichen Behinderung benachteiligt werden. Dieser Grundsatz
gilt selbstverständlich auch in der Beruflichen Bildung. Um echte Zugangsgerechtigkeit
herzustellen, sind flexible und passgenaue Angebote für Menschen mit speziellem
Förderbedarf deshalb weiter auszubauen. Insbesondere für Auszubildende mit Kindern, zu
pflegenden Angehörigen oder anderen Verpflichtungen fordern wir ein Recht auf
Teilzeitausbildungen. Um die strukturelle Ungleichbehandlung von Menschen mit
Migrationshintergrund abzubauen, können anonymisierte Bewerbungsverfahren darüber
hinaus einen wichtigen Beitrag leisten, damit junge Menschen in Zukunft nach Kompetenz
und Potenzialen, und nicht nach Namen und Postleitzahl ausgewählt werden.
Anonymisierte Bewerbungsverfahren sollten deshalb zur Regel werden.
- Teilhabe voranbringen: Die Berufliche Bildung bietet aufgrund ihrer
betriebspraktischen Ausrichtung vielfältige Chancen für junge Geflüchtete. Der Weg zum
Ausbildungsvertrag scheitert heute aber noch viel zu oft an unverantwortlichen sozial-
und aufenthaltsrechtlichen Hürden. Eine berufliche Ausbildung kann für alle
Geflüchtete ein wichtiger Schritt hin zu einem selbstbestimmten Leben sein, unabhängig
von ihrer Bleibeperspektive. Eine Differenzierung nach Bleibeperspektive lehnen wir
deshalb entschieden ab. Damit tatsächlich allen ausbildungsinteressierten Geflüchteten
breite Wege in die Ausbildung geöffnet werden, fordern wir die Öffnung aller
Förderinstrumente ohne Voraufenthaltszeit und unabhängig von Aufenthaltsstatus oder
Bleibeperspektive. Ausbildungsinteressierte Geflüchtete sollen im Rahmen einer
Ausbildungsvorbereitungsphase bereits vor Abschluss eines Ausbildungsvertrages ein
Bleiberecht erhalten, das sie vor Abschiebung schützt. Statt der derzeitigen
Duldungsregelung fordern wir für die Zeit der Berufsausbildung und die anschließende
Beschäftigung einen rechtsicheren Aufenthaltstitel, der echte Planungssicherheit für
Geflüchtete und Betriebe garantiert und zu einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis
führt.
- Geschlechtergerechtigkeit erreichen: Zahlreiche Berufe gelten auch heute noch als
„typisch männlich“ oder „typisch weiblich“. Derartige Klischees sind hauptursächlich
für geschlechtsspezifisches Berufswahlverhalten bei Jugendlichen. Während „typisch
männliche“ Ausbildungsberufe, beispielsweise in der Industrie, in der Regel deutlich
besser vergütet werden und aufgrund des hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrades
bessere Ausbildungsbedingungen aufweisen, sind Frauen in „typisch weiblichen“
Ausbildungsberufen überproportional häufig von schlechter Bezahlung, Qualitätsmängeln
in der Ausbildung und prekärer Beschäftigung betroffen. Wir fordern, dass endlich
Schluss ist mit Geschlechterklischees und daraus resultierenden Ungerechtigkeiten. Das
bedeutet, dass die Ausbildungs- und spätere Arbeitsbedingungen in „typisch weiblichen“
Ausbildungsberufen dringend verbessert werden müssen. Außerdem müssen bestehende
Barrieren abgebaut und frühzeitige, interessenbezogene Vorbereitung auf die Lebens-
und Arbeitswelt in Form praxisnaher und gendersensibler Berufsorientierung an allen
Schulformen flächendeckend etabliert werden.
- Mitbestimmung stärken: Auszubildende sind Jugendliche und junge Erwachsene. Sie haben
eigene Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche und können diese auch artikulieren. Ihre
Stimme muss deshalb gehört und ihre Anliegen müssen ernst genommen werden. Bestehende
Möglichkeiten der Azubi-Mitbestimmung sind deshalb weiter auszubauen. Wir setzen uns
für die Senkung der Hürden zur Einrichtung von Jugend- und Auszubildendenvertretungen,
deren dauerhaftes Stimmrecht in Betriebsratssitzungen sowie den Ausbau
niedrigschwelliger Beschwerdemöglichkeiten und die Ausweitung des
Betriebsratswahlrechts auf minderjährige Auszubildende ein.
- Ausbildung gerecht finanzieren: Die Ausbildung junger Menschen ist eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der insbesondere die Wirtschaft ein übergeordnetes
Interesse haben muss. Grundsätzlich gilt: nur wer gut ausbildet, erhält die Fachkräfte
von morgen. Dennoch ziehen sich immer mehr Betriebe aus der Ausbildung zurück. Wir
möchten die gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme von Betrieben zur Finanzierung
der Ausbildung sicherstellen. Um die Ausbildungsbeteiligung dauerhaft zu erhöhen und
damit Betrieben wie Jugendlichen gute Perspektiven zu sichern, befürworten wir
branchen- und regionsspezifische Umlagen zur solidarischen Finanzierung der
Berufsausbildung.
- Azubis fair bezahlen: Auszubildende haben ein Recht auf faire Vergütung. Insbesondere
in so genannten klassischen „Frauenberufen“ ist die Ausbildungsvergütung so gering,
dass sie in keinem angemessenen Verhältnis zur geleisteten Arbeit steht. Die
Unterschiede zwischen den Branchen, aber auch zwischen alten und neuen Bundesländern
sind enorm und verweisen damit auf ein zentrales Problem bei der Lohngerechtigkeit. So
liegt die durchschnittliche Ausbildungsvergütung im Bauhauptgewerbe (alte
Bundesländer) bei rund 1000 Euro, bei Friseur*innen (neue Bundesländer) bei nur bei
knapp 270 Euro. Wir fordern vor diesem Hintergrund eine Stärkung der Tarifautonomie
und eine damit verbundene Ausweitung des Geltungsbereichs tarifvertraglicher
Regelungen. Um grundsätzlich allen Auszubildenden ein eigenständiges Leben zu
ermöglichen, fordern wir ergänzend zu den einzelnen Tarifverträgen eine
Mindestausbildungsvergütung analog zum Mindestlohn. Solange Auszubildende nicht darauf
zählen können von der Ausbildungsvergütung eigenständig leben zu können, wollen wir
die Berufsausbildungsbeihilfe für Auszubildende grundsätzlich besser nutzbar machen.
Die Höhe der Fördersätze muss dabei in einem realistischen Verhältnis zu den
tatsächlichen Lebenshaltungskosten stehen. Das Schulgeld für schulische
Berufsausbildungen gehört abgeschafft und die Finanzmittel entsprechend ersetzt.
Auszubildende müssen zudem insbesondere in teuren Ballungszentren dabei unterstützt
werden, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wir fordern vor diesem Hintergrund Bund,
Länder und Kammern auf, ein gemeinsames Finanzierungsmodell zu entwickeln, mit dem
Auszubildendenwohnheime aufgebaut und betrieben werden können.
- Weiter beschäftigen: Ausbildende Betriebe sollten ihre Auszubildenden nach
erfolgreichem Abschluss der Kammerprüfung grundsätzlich unbefristet
weiterbeschäftigen. Im Fall einer Nichtübernahme sollte der Auszubildende spätestens
drei Monate vorher vom Arbeitgeber informiert werden müssen.
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