Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | T Tagesordnung und Formalia |
Antragsteller*in: | Felix Pahl (KV Pankow) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 08.11.2016, 13:46 |
F-02: Dringlichkeitsantrag: Dialogpartei – aber richtig!
Antragstext
Bündnis 90 / Die Grünen stehen für Dialog. Um unsere Positionen in der Gesellschaft
mehrheitsfähig zu machen, ist es wichtig, auch mit denjenigen zu sprechen, die sie nicht
teilen. Auch die praktische Umsetzung unserer Konzepte ist im Dialog mit z. B. Akteur*innen
aus Industrie und Wirtschaft einfacher. Für die Umsetzung der Energie- und Verkehrswende
suchen wir deshalb selbstverständlich auch den Dialog mit der Automobilindustrie.
Dialogfähigkeit darf jedoch nicht über weitreichende Kritik und Interessensunterschiede
hinwegtäuschen, wie sie insbesondere gegenüber der Daimler AG bestehen. Konflikte, die sich
daraus ergeben, müssen bei Bedarf auch ausgetragen werden.
Eine Gastrede ist kein Dialog; sie hat eine völlig andere Symbolik und Bildsprache und ist
deshalb keine geeignete Form für einen kritischen Austausch.
Die für eine Gastrede von Herrn Dr. Zetsche vorgesehene Zeit wird daher stattdessen
vollständig der Diskussionsrunde mit Herrn Dr. Zetsche zugeschlagen.
Begründung
Der Vorschlag des Bundesvorstands, den Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Herrn Dr. Dieter Zetsche, als Gastredner auf der Bundesdelegiertenkonferenz reden zu lassen, hat in der Partei eine heftige Kontroverse ausgelöst. Die Argumente, auf der einen Seite, den konstruktiv-kritischen Dialog mit der Automobilindustrie zu suchen, und auf der anderen Seite, nicht einem Konzern, der Rüstungsgüter an Diktaturen liefert, eine Bühne zu bieten, standen sich z.T. unversöhnlich gegenüber.
In Reaktion auf die breite und heftige Kritik hat der Bundesvorstand seinen Vorschlag um eine auf die Gastrede folgende Diskussionsrunde ergänzt. Deren Besetzung lässt auf eine interessante und kritische Diskussion unter Berücksichtigung sowohl der Energie- und Verkehrswende als auch von Rüstungsexporten und Menschenrechtsaspekten hoffen. Wir begrüßen dies ausdrücklich und halten diese Diskussionsrunde für ein geeignetes Format, in einen konstruktiven Dialog zu treten, in dem gleichzeitig die kritische Distanz der Partei zu den Konzernaktivitäten ausreichend deutlich wird.
Wir halten jedoch die Konstruktion einer Gastrede plus Diskussionsrunde aus mehreren Gründen für problematisch. Viele der Argumente, die gegen die Gastrede sprechen, werden von der nachgeschalteten Diskussionsrunde nicht ausgeräumt.
Es geht bei einem Parteitag nicht zuletzt um Symbole und Bilder. In unserer bisherigen Tradition waren Gastreden uns nahestehenden Persönlichkeiten wie Vandana Shiva und Jutta Allmendinger oder Repräsentant*innen von Organisationen und Institutionen wie SPD, DFB und EU vorbehalten, die uns mit ihrer Anwesenheit beehrt haben und deren Arbeit wir unsererseits durch die Einladung aufgewertet haben. Für eine Gastrede einer Vertreter*in eines Konzerns, dessen Aktivitäten unseren Werten und Politikansätzen teils diametral entgegenstehen, gibt es keinen Präzedenzfall; sie wäre ein Bruch mit dieser Tradition.
Natürlich kann man Traditionen weiterentwickeln. Aber wir müssen uns dabei bewusst sein, welche Symbole und Bilder wir produzieren. Es ist absehbar, dass das Bild von Herrn Dr. Zetsche als Gastredner, alleine am Redepult des grünen Parteitags, vor dem Hintergrund mit dem grünen Motto, für die Medien und die Hochglanzbroschüren der Daimler AG wesentlich interessanter wäre als ein Bild von ihm im Kreise kritischer Stimmen in einer Diskussionsrunde auf Augenhöhe. Dieses letztere ist aber das Bild des konstruktiv-kritischen Dialogs, für den die Partei stehen will und von dem auch diejenigen sprechen, die die Einladung verteidigen. Eine Gastrede plus Diskussion würde dagegen genau dieselben Bilder einer Gastrede produzieren, wegen derer die Gastrede ursprünglich von so vielen in der Partei abgelehnt wurde.
Es geht aber nicht nur um die Wirkung nach außen, sondern auch um unseren Umgang miteinander in der Partei. Aus unserer Sicht sind beide intendierten Signale, sowohl die Dialogbereitschaft als auch die kritische Distanz zu problematischen Konzernaktivitäten, für die differenzierte Positionierung unserer Partei gleichermaßen wichtig. Es ist deshalb bedauerlich, dass die Diskussion oft durch die Gegenüberstellung dieser beiden Ziele geprägt war, anstatt sich darauf zu konzentrieren, wie sich die begründeten Anliegen und Beiträge Aller zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen lassen. Weder die Gastrede gegen breite Teile der Partei durchzusetzen, noch durch eine Ausladung das wichtige Signal der Dialogbereitschaft ins Gegenteil zu verkehren, kann eine Lösung für diese Situation sein. Wir brauchen alle unsere Mitglieder – ihre Motivation ist unsere wertvollste Währung, und wir können es uns nicht leisten, sie mit solchen ungelösten Konflikten und unnötigen Niederlagen zu untergraben.
Wir wollen nicht ausschließen, dass Herr Dr. Zetsche und die Daimler AG eines Tages Verbündete unserer Partei werden könnten. Wir erkennen auch die Schritte an, die die Daimler AG bereits gegangen ist, beispielsweise durch den Verkauf ihrer Anteile an dem Rüstungskonzern EADS. Aber das Botschaftsspektrum unserer Partei umfasst viel mehr Nuancen als das undifferenzierte Feindbild der Großindustrie oder die Umarmung mit einer Gastrede. Wir sollten die ganze Klaviatur unserer Ausdrucksmöglichkeiten nutzen. Daimler hat sich von EADS getrennt, Daimler arbeitet an Elektromobilität – gut, gehen wir auch einen Schritt auf sie zu, suchen wir stärker den Dialog. Wenn unsere konstruktive Kritik aufgegriffen wird und Daimler aufhört, Diktaturen zu unterstützen und die Verkehrswende zu behindern, können wir einen Schritt weitergehen und bei einer Gastrede applaudieren. Aber an diesem Punkt ist Daimler noch lange nicht.
Die Auswirkungen der Konzernaktivitäten der Daimler AG auf Frieden und Menschenrechte weltweit sind an anderer Stelle schon ausführlich thematisiert worden. Dennoch wollen wir hier kurz aus fachlicher Perspektive darauf eingehen. Befürworter*innen der Gastrede argumentieren zuweilen, dass es sich bei den Rüstungsexporten der Daimler AG an Diktaturen im vergangenen Jahr „nur“ um ein paar Tausend Militärfahrzeuge und nicht um Kriegswaffen gehandelt habe. Das ist eine schwerwiegende Verharmlosung.
Es hat gute Gründe, dass Militärfahrzeuge als Rüstungsgüter klassifiziert sind und einer Genehmigungspflicht unterliegen. Kein Krieg ist ohne solches Material zu führen, keine Unterdrückung kommt ohne es aus. Diese Fahrzeuge transportieren Soldat*innen, Ausrüstung und Munition durch schweres Gelände. Sie ziehen Kampfjets auf die Startbahn und erfüllen viele andere Schlüsselaufgaben in der Logistik des Krieges. Sie sind nicht durch einfache LKWs zu ersetzen. (Siehe: http://www.mb-defence-vehicles.com/downloads/broschures/ Ready_for_Future_Operations_Mercedes-Benz_2016.pdf). Daimler unterstützt durch seine Verkäufe an Saudi-Arabien und andere Golfstaaten dementsprechend auch den opferreichen Krieg im Jemen, in dem die saudische Allianz völkerrechtswidrig agiert.
Die Daimler AG tut dies nicht, weil sie muss, sondern weil sie will. Die Exporte werden zwar durch die Bundesregierung genehmigt. Dennoch ist es eine Frage der unternehmerischen Ethik, ob solche politischen Spielräume auch wahrgenommen werden oder nicht. Die Tatsache, dass Rüstungsmärkte als vertriebsintensiv gelten, darf außerdem nicht ausgeblendet werden. Nur durch aufwändiges Marketing und intensive Kontaktpflege kann sich ein Konzern solche Märkte erschließen. Es ist also eine bewusste unternehmerische Entscheidung, auch Diktaturen mit Militärfahrzeugen zu beliefern.
Unsere Partei fordert seit langem die Einstellung jeglicher Rüstungslieferungen an die arabischen Diktaturen und insbesondere an die islamistische Diktatur in Saudi-Arabien. Im Bundestagswahlkampf 2013 landete eine restriktive Rüstungsexportpolitik auf Platz 1 in einer der drei Kategorien der in einer Urabstimmung ausgewählten Schlüsselthemen. Diese Forderung setzt bei den Genehmigungen an, aber sie nimmt deshalb noch lange nicht die Unternehmen selbst aus der Pflicht. Zumal Konzerne wie Daimler auch ganz gezielt Lobby machen für eine Aufrechterhaltung der Genehmigungspraxis, die wir geschlossen ablehnen. Daimler steht, was dieses Thema betrifft, nach wie vor auf der Seite, die in die falsche Richtung zieht.
Es geht also hier ganz konkret um die Glaubwürdigkeit unserer Friedens- und Menschenrechtspolitik. Wir können nicht auf der einen Seite die Bundesregierung für die Erteilung von Genehmigungen geißeln und auf der anderen Seite diejenigen, die eben diese Genehmigungen beantragen und nutzen, mit einer Gastrede ehren.
Aus all diesen Gründen ist eine Diskussionsrunde aus einem Guss der vom Bundesvorstand vorgeschlagenen Konstruktion vorzuziehen. Wir haben Verständnis dafür, dass sich der Bundesvorstand angesichts des Hergangs der Ereignisse nicht selbst zu dieser weitergehenden Korrektur seines Vorschlags in der Lage gesehen hat, und bitten daher die Bundesdelegiertenkonferenz, diese Korrektur vorzunehmen. Wir halten es aufgrund des basisdemokratischen Selbstverständnisses unserer Partei für einen selbstverständlichen Vorgang, dass Vorschläge des Bundesvorstands durch die Bundesdelegiertenkonferenz angenommen, abgelehnt oder in diesem Fall modifiziert werden.
Da wir ausdrücklich das vom Bundesvorstand beabsichtigte Signal der Bereitschaft zum Dialog, selbst mit aus unserer Sicht hoch problematischen Industriezweigen, für richtig und wichtig halten, möchten wir nicht das gegenteilige Signal einer Reduktion der für die Aussprache vorgesehenen Zeit oder gar einer Ausladung von Herrn Dr. Zetsche senden. Deshalb beantragen wir, die gesamte für die Gastrede vorgesehene Zeit der Diskussionsrunde zuzuschlagen. So ermöglichen wir mehr Dialog und weniger Monolog. Es bleibt der Moderation der Diskussionsrunde überlassen, inwieweit die zusätzlich zur Verfügung stehende Zeit für längere Eingangsstatements der Teilnehmenden im Rahmen der Diskussionsrunde genutzt werden soll.
Begründung der Dringlichkeit:
Der Bundesvorstand hat den Vorschlag einer Gastrede von Herrn Dr. Zetsche am 7. Oktober, also nach Antragsschluss, und den Vorschlag zur Besetzung der Diskussionsrunde am 31. Oktober, also nach Änderungsantragsschluss, veröffentlicht. Die Dringlichkeit ist somit nach §4 (2) der Geschäftsordnung der Bundesversammlung gegeben.
Weitere Antragsteller*innen
- Sara Nanni (KV Münster)
- Felix Deist (KV Essen)
- Sabine Müller (KV Köln)
- Hermino Katzenstein (KV Odenwald-Kraichgau)
- Jamila Schäfer (KV München)
- Moritz Heuberger (KV Heidenheim)
- Theresa Kalmer (KV Pankow)
- Erik Marquardt (KV Friedrichshain-Kreuzberg)
- Armin Bernsee (KV Frankfurt)
- Charlotte Lorentz (KV Pankow)
- Astrid Rothe-Beinlich (KV Weimar)
- Melanie Müller (KV Friedrichshain-Kreuzberg)
- Werner Graf (KV Friedrichshain-Kreuzberg)
- Jennifer Bartelt (KV Frankfurt am Main)
- Stefan Taschner (KV Berlin-Kreisfrei)
- Sibylle Steffan (KV Neukölln)
- Karl-Heinz Karch (KV Hamburg-Mitte)
- Josefine Paul (KV Münster)
- Julia Delvenne (KV Münster)
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