Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Martin-Sebastian Abel (KV Düsseldorf) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 30.09.2016, 23:13 |
V-66: Für starken Datenschutz, freie Wahl der Zahlungsmittel und Steuergerechtigkeit – Bezahlobergrenze verhindern, Steuerhinterziehung konsequent bekämpfen ZURÜCKGEZOGEN
Antragstext
Wir GRÜNE sind die Partei des Datenschutzes und der Steuergerechtigkeit. Wir stehen für die
Freiheit und Unabhängigkeit der Bürgerinnen und Bürger und wollen auch künftig mit Bargeld
zahlen können. Bargeld ist das einzige unbegrenzte gesetzliche Zahlungsmittel. Das soll so
bleiben.
Wir GRÜNE stehen ebenso für eine faire Umverteilung, für eine deutliche Entlastung von
Familien und eine ökologische Finanzreform. Die immer neuen Skandale um Steuervermeidung und
Steuerhinterziehung untergraben das Vertrauen in die staatlichen Institutionen und unsere
Demokratie insgesamt.
Wenn der Eindruck entsteht, unser Recht ist nicht für alle gleichermaßen gültig, sind
fundamentale Grundwerte in Gefahr. Daher werden wir weiterhin auf allen Ebenen gegen
Steuerhinterziehung und Steuervermeidung vorgehen. Die Bundesregierung unter
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble, lässt nach wie vor zu viele Möglichkeiten
ungenutzt, um gegen Steuersünder*innen konsequent vorzugehen.
Ganz aktuell zeigt sich das im Umgang mit den Enthüllungen um die Panama-Papers: Während
andere Europäische Länder voran gehen, sitzt Deutschland wichtige Reformen aus.
Beispielsweise könnte ein Transparenzregister Firmenkonstrukte mit Briefkastenfirmen
unattraktiv machen. Obwohl dies Bestandteil der 4. EU-Geldwäscherichtlinie ist, möchte die
Bundesregierung alles beim Alten belassen und begünstigt so Wettbewerbsnachteile für die
Unternehmen und Privatpersonen, die ehrlich ihrer Steuerpflicht nachkommen.
Die Bundesrepublik ist in der Europäischen Union auf Seiten von Steueroasen wie Zypern,
Malta oder den Niederlanden anstatt Vorreiter für Transparenz und gleiche
Wettbewerbsbedingungen zu sein.
Keine Bezahlobergrenze einführen, Bargeldnutzung beibehalten
Inmitten dieser Diskussion forcieren Bundesregierung und die EU-Finanzminister die
Einführung einer Bezahlobergrenze für Bargeld. Statt die notwendigen Konsequenzen aus
bekannten Schlupflöchern zu ziehen und internationale Abkommen auszuweiten, werden bei
Barzahlungen ab einer gewissen Höhe alle Menschen unter den Generalverdacht krimineller
Handlungen gestellt.
Durch die Einführung einer Höchstgrenze bei Bargeldzahlungen würden Bürger*innen gezwungen,
anstelle der Anonymität von Bargeldzahlungen die Nachverfolgung durch Bewegungen auf dem
Bankkonto und evtl. finanzielle Nachteile hinnehmen zu müssen.
Auch vor dem Hintergrund der Zinsentwicklung ist die Einführung einer Höchstgrenze für
Bezahlvorgänge kritisch zu betrachten. Müssen bereits Zahlungsvorgänge in einer mittleren
Größenordnung unbedingt über ein Konto abgewickelt werden, werden die Bürger*innen indirekt
gezwungen, zumindest Teile des persönlich Ersparten auf einem Konto zu halten. Bei einer
denkbaren Einführung von Negativzinsen würde so einer weiteren Entreicherung der Bevölkerung
auf staatliche Veranlassung hin Vorschub geleistet, die schon längst durch die
langanhaltende Niedrigzinsphase zahlreiche Menschen bei ihrer Alterssicherung oder
Bemühungen zur Vermögensbildung seit Jahren erleiden.
Eine Bezahlobergrenze hätte auch zur Folge, dass die Bürger*innen nicht länger in Lage
wären, ihr Erspartes von der Bank abzuheben und frei über ihr eigenes Geld zu verfügen.
Auch die bereits von der EZB beschlossene Einschränkung der Bargeldhaltung in Form der
Abschaffung des 500-Euroscheins ab Ende 2018 erschwert die freie Nutzung von Bargeld und
führt u.a. auch dazu, den Banken, wie beispielsweise dem Bayerischen Sparkassenverband die
geplante Verlagerung des Sparkassenvermögens in die eigenen bayerischen Tresore zur
Vermeidung von Negativ-Zinskosten erheblich zu erschweren.
Mit der Einführung von Negativzinsen bzw. der Weitergabe von Strafzinsen an die Bankkunden,
sind die Bürger*innen gezwungen, ihr Geld auszugeben oder in andere Anlageformen zu wandeln,
wenn sie den Negativzinsen für ihr Geldvermögen auf den Sparkonten entgehen und den Wert
ihres Geldes behalten wollen. Sie würden also indirekt dazu genötigt zu konsumieren, in
Sachwerte zu investieren oder Staatsanleihen zu kaufen.
Bisher gibt der Bankensektor diese Negativzinsen noch nicht gänzlich an seine Privatkunden
weiter, da er fürchtet, dass die Bankkunden dann ihr Konto auflösen und das Geld zu Hause
horten werden. Der Mittelstand wird aber neuerlich bereits mit sog. „Guthabengebühren“
belastet, was nichts anderes ist als eine Weitergabe von Negativzinsen, mit denen Banken
belastet werden. Auch haben einzelne Bankinstitute bereits Kontoführungsgebühren o.ä.
angehoben, um einen Kostenausgleich für bereits anfallende Negativzinsen herzustellen.
Datensparsamkeit sichern, Datenhandel vermeiden
Die Abwicklung des Zahlungsverkehrs über ein Bankkonto führt aber bereits heute zugleich zu
erheblichen negativen Nebeneffekten.
So werden die Daten über alle Kontobewegungen der Bürger*innen erfasst und langfristig
gespeichert. Dauerhafte Datenspeicherung sollte immer einhergehen mit einer großen
Sensibilität, denn auch Bankdaten lassen in vielen Fällen Rückschlüsse auf das Privatleben,
Vermögensverhältnisse, die persönliche Lebensweise, Aufenthaltsorte oder individuelle
Vorlieben der Bürger*Innen zu und bergen damit immer die inhärente Gefahr eines Missbrauchs,
beispielsweise dann, wenn diese Daten von Unbefugten illegal beschafft und genutzt werden.
Erlangen Unberechtigte dann einen Zugriff auf Kreditkarten- oder Bankdaten, ist eine
umfassende Kontrolle von unbescholtenen Bürger*innen und deren Lebensführung leicht möglich.
Die Datensammelwut von Banken, Versicherungen und Unternehmen ist immens. Hieraus haben sich
in den letzten Jahren zahlreiche, oftmals fragwürdige Geschäftsmodelle entwickelt.
Zahlreiche Versicherungen haben bereits Tarife, in denen Kundinnen und Kunden abhängig von
ihrem individuellen Lebenswandel zahlen und sich dafür weitgehend durchleuchten lassen. Im
E-Commerce werden heute schon in Sekundenschnelle individuelle Kundenprofile abgefragt und
abhängig von diesen Werten individuelle Preise und Zahlungsoptionen berechnet.
Diese Modelle bringen die Balance zwischen Anbieter*innen und Kund*innen in dramatischer
Weise aus dem Gleichgewicht.
Bei einem vollständig elektronischen Zahlungsverkehr droht ein Szenario, in dem
Verbraucherinnen und Verbraucher Konsumentscheidungen nicht mehr selbstbestimmt treffen
können, weil sie aufgrund der vorhandenen Datenmengen bereits im Vorfeld ausgeforscht sind.
Undurchsichtige Scoringverfahren und Datenhandel sind bereits heute ernste Probleme.
Unverständliche und nicht nachvollziehbare Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) leisten
ihren Beitrag zu maximaler Intransparenz; Datenhändler nutzen alle gesetzlichen Spielräume
und rechtlichen Graubereiche, um Transparenz möglichst zu verhindern.
Die Konsequenz sollte deshalb sein, zur Datensparsamkeit zurückzukehren, statt immer neue
Datenerhebungen, -speicherungen und -verarbeitungen zuzulassen, in dem man die
Bargeldnutzung einschränkt oder gar eines Tages abschafft.
Die Regeln zur Weiterverarbeitung und Löschung solcher Daten sind vielen Verbraucher*Innen
nicht bekannt und immer neue Datenschutzskandale haben zur Verunsicherung beigetragen.
Wir GRÜNE streiten deshalb für wirksame Konzepte gegen ausufernden Datenhandel. Wir wollen
klare Transparenzregeln, die es allen Bürger*innen ermöglichen, exakte Informationen darüber
zu bekommen, was bei Auskunfteien und Datenhändlern über sie gespeichert ist.
Wir begrüßen, dass mit der Europäischen Datenschutzreform erstmals ein starker
datenschutzrechtlicher Rahmen in ganz Europa gilt und werden bei der Umsetzung der Reform in
Bundes- und Landesrecht Spielräume, insbesondere mit Blick auf Scoring, im Interesse der
Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen.
Wir GRÜNE würdigen vor diesem Hintergrund auch die Rolle der Verbraucherzentralen: Die
Verbraucherzentralen sind für uns wichtige Verbündete, wenn es gilt, rechtsstaatliche
Grundprinzipien zu verteidigen und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben durchzusetzen.
Denn trotz vieler Beratungsangebote und Musterklagen sind selbst aufgeklärte und
technikaffine Verbraucher*innen verunsichert: Sie wissen bei Vertragsunterzeichnungen und
der Nutzung von Dienstleistungen und Produkten weder, ob ihre Daten sicher sind, noch welche
Informationen überhaupt erhoben und gespeichert werden.
Kontrollfantasien Einhalt gebieten
Auch der Bankenverband lehnt eine derartige Obergrenze trotz des damit verbundenen
Mehraufwands für seine Institute aus verbraucherpolitischen Gründen ab und plädiert
stattdessen für einen schärfere Durchsetzung des Geldwäschegesetzes, insbesondere auch in
den einschlägigen Handelsbranchen.
Das Ansinnen konservativer und sozialdemokratischer Finanzminister, Geldgeschäfte künftig
komplett bargeldlos zu gestalten, läuft auf eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung unseres
vollständigen Konsum- und Zahlungsverhaltens hinaus.
Dem stellen wir GRÜNE uns entschieden entgegen! Wir wollen nicht, dass unbescholtene
Bürger*innen staatlich oder nichtstaatlich durchleuchtet werden, denn bei ausschließlich
elektronischem Zahlungsverkehr würden gigantische Datenmengen angehäuft, die durchrastert
und bei Bedarf retrograd durchforstet würden. Wir GRÜNE stehen zum Grundsatz der
Datensparsamkeit und lehnen dieses Vorgehen deshalb ab.
Gleiches gilt für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität oder der Geldwäsche. Beide
Bereiche der Polizeiarbeit werden nahezu jährlich mit neuen Aufgaben und Befugnissen
ausgestattet. Bereits heute zählt etwa die Geldwäschebekämpfung zu einem der am weitesten in
die Grundrechte der Bürger*innen eingreifenden, hoheitlichen Tätigkeitsgebiet. Die
Befugnisse von Finanzverwaltung und Strafverfolgungsbehörden sind weitgehend und der
Instrumentenkasten wird regelmäßig eingesetzt.
Gleichzeitig zeigen uns die Enthüllungen um die „Panama-Papers“, dass die Bundesregierung
viele sinnvolle Schritte gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung massiv behindert.
Zudem erhalten die Steuerverwaltungen der Länder nicht alle notwendigen Informationen, um
Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu bekämpfen“
Wir GRÜNE werden auch weiterhin dafür streiten, dass die Finanzverwaltung in einem
grundrechtlich angemessenen Rahmen die notwendigen Instrumente für die konsequente Umsetzung
von Steuergerechtigkeit zur Verfügung gestellt bekommt. Zudem werden wir weiter für eine
Stärkung der Finanzbehörden eintreten und wollen diese mit zusätzlichen Stellen ausstatten.
Begründung
erfolgt mündlich
Weitere Antragsteller*innen
- Horst Becker (KV Rhein-Sieg)
- Oliver Keymis (KV Rhein-Kreis Neuss)
- Johannes Remmel (KV Siegen-Wittgenstein)
- Matthi Bolte (KV Bielefeld)
- Mehrdad Mostofizadeh (KV Essen)
- Mona Neubaur (KV Düsseldorf)
- Oliver Krischer (KV Düren)
- Stefan Engstfeld (KV Düsseldorf)
- Börje Wichert (KV Ennepe-Ruhr)
- Dr. Richard Ralfs (KV Rhein-Sieg)
- Elmar Gillet (KV Rhein-Erft)
- Wibke Brems (KV Gütersloh)
- Annette Standop (KV Bonn)
- Bruno Jöbkes (KV Kleve)
- Reiner Daams (KV Solingen)
- Peter Tertocha (KV Gelsenkirchen)
- Wiebke Stange (KV Düsseldorf)
- Samuel Olbermann (KV Düsseldorf)
- David Schichel (KV Remscheid)
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