Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | SO Sozialer Zusammenhalt |
Antragsteller*in: | BAG Frieden & Internationales (dort beschlossen am: 09.11.2016) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 10.11.2016, 15:55 |
SO-03/S0-05: NO JUSTICE, NO PEACE – Globalen Zusammenhalt stärken! (Zusammenführung SO-03/SO-05)
Antragstext
Gerechtigkeit endet nicht an den Grenzen von Ländern oder Kontinenten. Es ist moralisch
gesehen keine geringere Tragödie, wenn einem Menschen im Mittelmeer etwas zustößt, als wenn
das in Deutschland passieren würde. So wenig die zufällige Geburt in ein bildungsfernes
Elternhaus schlechte Berufsperspektiven rechtfertigt, so wenig kann die zufällige Geburt in
ein bestimmtes Land eine kurze Lebenserwartung, Hunger und Armut rechtfertigen.
Grüne Idee der ‚Erweiterten Gerechtigkeit‘
Die grüne Idee der `erweiterten Gerechtigkeit´ verweist entsprechend auf die Notwendigkeit,
den Radius unseres Gerechtigkeitsanspruchs zu erweitern. Das gilt in sozialer, zeitlicher
und räumlicher Hinsicht. Die soziale Dimension begründet etwa unseren Einsatz für Teilhabe-
und Geschlechtergerechtigkeit, während unsere Forderung nach Generationengerechtigkeit der
zeitlichen Dimension entspricht. Räumlich bedeutet erweiterte Gerechtigkeit, dass
Gerechtigkeit nicht an den Grenzen von Ländern oder Kontinenten endet. Internationale
Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung für Frieden, sowohl im engeren Sinne der
Abwesenheit kriegerischer Gewalt als auch im weiteren Sinne einer friedvollen,
wohlgeordneten Kooperation der Menschen. Die drastische ökonomische, ökologische und soziale
Ungerechtigkeit der Weltordnung trägt in vielerlei Hinsicht zu Krieg und Gewalt bei. Sie ist
in erster Linie lebensbedrohlich für die Machtlosen. Aber auch in den mächtigen,
privilegierten Staaten des Westens führt sie dazu, dass das Sicherheitsempfinden der
Bürger*innen schwindet und eine repressive Innenpolitik befördert wird. Auch wird so die
Kooperationsbereitschaft der Staaten gemindert. Frieden weltweit setzt hingegen eine
gerechte globale Grundstruktur voraus. Die Zeit ist gekommen, diese Struktur zu gestalten!
Eine grüne Konzeption globaler Gerechtigkeit fußt auf der Idee gleicher, effektiver
Verwirklichung individueller Menschenrechte. Deutsche, europäische und internationale
Politik sollte zum Ziel haben, allen Menschen den Zugang zu gerechten Institutionen zu
verschaffen, die ihre Menschenrechte effektiv schützen. Das internationale Recht auf Asyl,
das Aggressionsverbot zwischen Staaten, Friedensmissionen sowie Triple-A-Rankings und Klima-
Zertifikate gehen allesamt auf internationale Institutionen zurück. Es sind daher vor allem
Institutionen, die letztlich zur Durchsetzung der Menschenrechte in der Lage sind.
Gleichzeitig werden viele der Probleme und Konflikte erst durch ungerechte internationale
Institutionen erzeugt.
Wie auf nationaler Ebene sind gerechte Institutionen demnach auch global eine notwendige
Voraussetzung für ein gerechtes Gemeinwesen und daher ein zentraler Gegenstand grüner
Gerechtigkeitsforderungen.
Primat Grüner Friedenspolitik: die globale Verwirklichung der Menschenrechte
Das Konzept der Menschenrechte besagt, dass alle Menschen aufgrund ihres Menschseins mit
gleichen und unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind. Wir treten für ein weites
Verständnis der Menschenrechte ein, das sich auf drei Ebenen erstreckt: Es umfasst die
liberalen Abwehrrechte der Bürger*innen, die in erster Linie dem Schutz der persönlichen
Freiheit dienen. Zudem sollen auch demokratische, wirtschaftliche und soziale Rechte
geschützt sein, die einen Anspruch auf einen menschenwürdigen Standard vermitteln. Auch
kollektive Menschenrechte sehen wir umfasst, mittels derer beispielsweise das Recht auf
Entwicklung und das Recht auf eine saubere Umwelt geschützt werden. Wir setzten uns für den
Schutz und die Stärkung dieser Menschenrechte hier und auf internationaler Ebene ein.
Es gibt eine Vielzahl an internationalen Menschenrechtsabkommen. Nur auf Papier allein sind
alle Abkommen und Vereinbarungen noch nicht viel wert. Denn formal Rechte zu haben ist nicht
identisch mit ihrem effektiven Gebrauch. Gerade in Zeiten, in denen das Völkerrecht,
insbesondere von hochgerüsteten Staaten, zwar viel im Munde geführt aber selten geachtet
wird, bedarf es unserer Anstrengungen, es zu erhalten, zu stärken und weiterzuentwickeln.
Deutschland und die EU müssen ihrer Verantwortung für die Menschenrechte endlich gerecht
werden
Besonders die äußerst ungleiche Anwendung internationalen Rechts ist eine seiner größten
Schwächen. Auch Deutschland und die EU machen sich immer wieder der Ungleichbehandlung
schuldig. Völkerrechtsverstöße und Menschenrechtsverletzungen missliebiger Staaten werden
verurteilt und sanktioniert, während ebenso schwere Verbrechen von „Verbündeten“ häufig
stillschweigend toleriert, politisch gedeckt oder gar durch Überflugrechte, Basennutzung und
Waffenlieferungen überhaupt erst möglich gemacht werden. Auch die Duldung
menschenrechtswidriger Gefangentransporte und die Zurückweisung von Asylsuchenden in
menschenrechtswidrige Flüchtlingsunterkünfte sind mit einer konsequenten Umsetzung der
Menschenrechte nicht vereinbar. Das Ergebnis solcher Handlungen ist eine massive Schädigung
des Völkerrechts, das deshalb in weiten Teilen der Welt als Recht der Stärkeren wahrgenommen
wird. Unser Ziel muss dagegen die Stärkung des Rechts sein, ohne die eine friedliche
Entwicklung der Welt kaum möglich ist.
Im Sinne einer globalen moralischen Arbeitsteilung ist Deutschland darüber hinaus zum Aufbau
und zur Unterstützung einer gerechten Grundstruktur verpflichtet. Zentral sind hierbei die
Weiterentwicklung des internationalen Rechts sowie die Reform internationaler Organisationen
im Geiste der Menschenrechte. Wo staatliche und internationale Organisationen ihren
menschenrechtlichen Verpflichtungen (noch) nicht nachkommen, müssen in nächster Instanz auch
private Akteure, die über umfangreiche Kapazitäten verfügen (z.B. große Unternehmen), in die
Pflicht genommen werden.
Dabei ist uns wichtig, dass es nicht darum geht, anderen Staaten die Wertvorstellungen der
„westlichen Welt“ aufzuoktroyieren. Vielmehr müssen wir einen ständigen inklusiven Diskurs
suchen, um eine starke Legitimation zu schaffen und um auch mit neuen Herausforderungen
umgehen zu können.
Die Tatsache, dass es täglich in aller Welt zu Menschenrechtsverletzungen kommt, zeigt, dass
Rechte immer wieder eingefordert und verteidigt werden müssen. Es gab und gibt weltweit
viele mutige Menschen und Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Diesem
Engagement möchten wir unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen. Doch ohne starke
internationale Institutionen, die sich der Verwirklichung der Menschenrechte verschreiben,
wird ihr effektiver Schutz nicht möglich sein.
Aufbruch in eine Welt legitimen Regierens – die Menschenrechtsbindung und Demokratisierung
globaler Governance Institutionen
Internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen (VN), der Internationale
Strafgerichtshof (IStGH) oder die multilateralen Entwicklungsbanken, aber auch die
Regionalorganisationen sind wichtige Errungenschaften. Sie ermöglichen internationale
Kooperation und tragen zur Lösung globaler Probleme bei. Eine an Gerechtigkeit orientierte
Politik muss darauf zielen, diese Institutionen sowohl zu stärken als auch zu reformieren.
Während bereits etablierte Institutionen wie der VN-Sicherheitsrat, die
Welthandelsorganisation, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds historisch
gewachsene, nicht gerechtfertigte Ungleichheit zementieren, stellen uns neue Institutionen
wie die „Asian Infrastructure and Investment Bank“ (AIIB) oder die „New Development Bank“
(NDB) vor neue Herausforderungen in unserem Bestreben nach unterstützungswürdigen
internationalen Institutionen. Allgemein haben internationale Institutionen in den
vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich an Autonomie gegenüber ihren Mitgliedstaaten
gewonnen. Rund zwei Drittel dieser Institutionen sind heute in der Lage,
Mehrheitsentscheidungen zu fällen, die tief in nationale Angelegenheiten hineinreichen.
Vielen fehlt es an effektiven Standards zum Schutz der Menschenrechte. Demokratisch
legitimiert sind sie nicht. Auch die Zunahme quasi-juristischer Verfahren untergräbt das
Recht auf demokratische Selbstbestimmung der Menschen.
Die Bundesregierung muss Menschenrechtsverpflichtung in internationaler Organisation aktiv
erwirken
Ein demokratischer Weltstaat ist nicht in Sicht. Eine Rückkehr zum nationalstaatlichen
Konsensprinzip ist bei anhaltenden Trends weder realistisch, noch wünschenswert: globale
Probleme erfordern handlungsfähige, globale Institutionen, die den rein nationalstaatlichen
Gemeinwohlhorizont überwinden. Wir setzen uns daher konsequent für Rechenschaftsmechanismen
ein, die unabhängig und effektiv die Mitsprachemöglichkeit derjenigen Subjekte ermöglichen,
die unmittelbar vom Handeln einer internationalen Organisation betroffen sind. Rechenschaft
(„Accountability“) meint hier 1) eindeutige, an den Menschenrechten orientierte Standards
des Handelns der internationalen Organisation, 2) Transparenz, die die Einhaltung der
Standards ermöglicht, sowie 3) effektive Sanktionsmöglichkeiten. Der globalen
Zivilgesellschaft sollte bei der Überwachung dieser Standards eine entscheidende Rolle
zukommen. Konkret beinhaltet diese Forderung, dass die deutsche Bundesregierung sich für
eine Menschrechtsverpflichtung internationaler Organisationen, an Menschenrechten und
Umweltschutzstandards orientierte „Safeguards“ sowie effektive Beschwerdemechanismen im
Falle der Nichteinhaltung einsetzt. Zudem fordern wir, dass Deutschland sich für die
effektive Beteiligung der Parlamente sowie der globalen Zivilgesellschaft in internationalen
Organisationen einsetzt. Erstens beinhaltet dies strenge Regeln zur Einbeziehung nationaler
Parlamente in wichtige Entscheidungen der Organisation. Zweitens fordern wir Standards für
Deliberationsprozesse, an denen die Zivilgesellschaft effektiv beteiligt wird. Nur durch die
explizite Menschenrechtsbindung internationaler Institutionen können Menschenrechte
geschützt werden. Nur durch die Institutionalisierung von anspruchsvollen und inklusiven
Deliberationsprozessen, die Rückbindung zentraler Entscheidungen an nationale Parlamente
sowie sanktionsbewährte Rechenschaftspflichten können wir ein notwendiges Minimum
demokratischer Legitimität des Handelns internationaler Organisationen sicherstellen. Nur so
können wir letztlich auch in Zeiten der „global Governance“ mündige Bürger bleiben.
Vereinte Nationen, WHO, IStGH, OSZE - Reform internationaler Organisationen
Konkret wollen wir unter anderem die Zusammensetzung und Funktionsweise des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen reformieren. Die Privilegierung einzelner Staaten durch ein Vetorecht
spiegelt die Machtkonstellationen zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts wieder. Diese
Struktur ist undemokratisch und aus der Zeit gefallen. Eine Reform wird nicht einfach sein,
doch sie muss immer wieder angemahnt werden. Der missbräuchliche Umgang mit dem eigenen
Vetorecht durch ständige Mitglieder kann zurzeit nicht juristisch verhindert werden. Aber
ein solches Verhalten muss deutlichen politischen Gegenwind erfahren. Deutschland und die EU
sollten außerdem dahingehende Reformbestrebungen unterstützen. Ein Ansatzpunkt dafür ist die
französische Initiative für einen freiwilligen Verzicht auf das Veto bei schweren
Gräueltaten. Auf keinen Fall darf Deutschland eine Reform durch Ambitionen auf einen eigenen
ständigen Sitz erschweren.
Auch die WHO ist dringend reformbedürftig. In den vergangenen Jahren stand sie für
Handelsliberalisierung und Deregulierung und versäumte es, Handelspolitik mit international
verbindlichen Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt in Einklang zu bringen.
Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit erhalten, ihre heimische Wirtschaft zu schützen,
insbesondere damit diese Länder ihre Ernährungssouveränität sichern können. Darüber hinaus
müssen die Zölle in der EU auf verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern abgeschafft und
marktverzerrende EU-Subventionen abgebaut werden.
Einen erfolgsversprechenden Ansatz für internationales Konfliktmanagement und nachhaltigen
Frieden sehen wir in der fortschreitenden Institutionalisierung und Förderung von
Friedensmediation. Deutschland muss sich dafür einsetzen, die Methoden und Instrumente der
Friedensmediation weiter zu entwickeln und entsprechende Ressourcen zu ihrem Einsatz bereit
zu stellen. Dazu gehört insbesondere eine umfassende Förderung der Mediationskapazitäten
(„Mediation Support Units“) der VN, EU und OSZE, sowie eine Reform dieser Institutionen,
welche eine bessere Koordination und Wissenstransfers ermöglicht. Parallel zu einer
stärkeren internationalen Institutionalisierung sollte Deutschland auch verstärkt lokale
Strukturen fördern, um durch die systematische Einbindung von lokalen Mediator*innen
kontextspezifische, maßgeschneiderte Designs von Mediationsprozessen zu gewährleisten.
Ein Fall massiven Rechtsbruchs auf internationaler Ebene, der uns auch als Europäer*innen
besonders betrifft, ist der mittlerweile von fast allen Seiten als illegaler und illegitimer
anerkannte Angriff auf den Irak 2003. Nachdem der britische Chilcot-Bericht noch einmal
umfassend und eindringlich die Verantwortungslosigkeit des Angriffs auf den Irak deutlich
gemacht hat und selbst führende Beteiligte wie der damalige stellvertretende britische
Premierminister zu dem Schluss gekommen sind, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg handelte, ist eine juristische Aufarbeitung überfällig. Wenn die nationalen
Gerichte dazu nicht willens oder in der Lage sind, sollten Deutschland und die EU sich dafür
einsetzen, dass die VN-Generalversammlung beim Internationalen Gerichtshof ein Gutachten
über die Legalität des Krieges einholt und der Internationale Strafgerichtshof seine
Zuständigkeit für im Rahmen des Krieges verübte Verbrechen ausübt.
Mit Palästina hat am 27. Juni 2016 der dreißigste Staat die Änderung des Römischen Statuts
zur Erweiterung der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs um das Verbrechen
der Aggression ratifiziert. Damit ist der Weg dafür frei, dass die Änderung ab 2017 durch
eine Zweidrittelmehrheit der Vertragsstaaten in Kraft gesetzt wird. Deutschland und die EU
sollten sich dafür einsetzen, dass dies frühestmöglich geschieht und dass weitere Staaten,
insbesondere die noch ausstehenden EU-Mitgliedstaaten, die Änderung ratifizieren. Damit
könnten in Zukunft auch die obersten Entscheidungsträger*innen auf internationaler Ebene für
Angriffskriege juristisch belangt werden.
Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Strafbarkeit des Angriffskrieges in das nationale
Völkerstrafrecht umsetzen will. Es ist allerdings zu bedauern, dass sie dabei das
Weltrechtsprinzip nicht vollumfänglich berücksichtigt und den Tatbestand auf Sachverhalte
mit Deutschlandbezug verengt. Die Durchsetzung des Weltrechtsprinzips für das Verbrechen der
Aggression wäre ein weiterer Schritt zur Stärkung des internationalen Rechts und zu einem
friedlichen Zusammenleben weltweit.
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