Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Dr. Thomas Gambke (KV Landshut Stadt) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2016, 20:17 |
V-65: Nachhaltig produzieren: Langlebige und reparaturfreundliche Produkte schonen Umwelt und Geldbeutel
Antragstext
Wasserkocher, Handy oder Drucker – zu viele Geräte werden nach immer kürzeren Lebensdauern
ausgetauscht. Bündnis 90/Die Grünen unterstützt und befördert Initiativen für langlebige und
reparaturfreundliche Produkte. Wir setzen uns dafür ein, längere Lebensdauern von Produkten
zu fördern und möglichst sicherzustellen und dadurch zu einer Schonung der Ressourcen
beizutragen.
Immer häufiger kommt es vor, dass Produkte schon während oder kurz nach Ablauf der
gesetzlichen Gewährleistung kaputt gehen und erneuert werden müssen. So ergaben
Untersuchungen des Umweltbundesamts zum Beispiel, dass die Lebensdauer von Notebooks
zwischen 2005 und 2012 von 6 auf 5,1 Jahre sank, ein Skandal angesichts des technischen
Fortschritts. Zugleich stieg der Anteil der Ersatzbeschaffungen für noch sehr junge Geräte
deutlich an, z. B. bei Flachbildschirmen.
Die Gründe für den erforderlichen Ersatz von Produkten sind sehr vielfältig. In vielen
Produkten sind technische Schwächen durch den Einbau minderwertiger Teile feststellbar, so
dass frühzeitig Reparaturen erforderlich sind oder Neugeräte angeschafft werden müssen.
Weiterentwicklungen am Markt oder auch nur modische Erscheinungen lösen zusätzlich
Ersatzkäufe aus. Reparaturen werden für viele Güter nicht angeboten oder erscheinen nicht
rentabel.
Die sogenannte geplante Obsoleszenz, also die absichtliche Verringerung der Lebensdauer von
Produkten (oder die Begrenzung der Nutzungsdauer) durch den gezielten Einbau von
Schwachstellen, ist verstärkt in der öffentlichen Diskussion. Hinweise darauf sind nicht von
der Hand zu weisen. Auch das Verkleben von Bauteilen ist in diesem Sinne problematisch. Es
macht die Reparatur oder den Austausch einzelner Komponenten (wie dem Akku im Handy) häufig
unmöglich. Dadurch muss das komplette Gerät ausgetauscht werden, obwohl nur eine kleine
Komponente defekt ist.
Ökonomisch ist die Strategie der allmählichen Qualitätsverschlechterung für die Hersteller
attraktiv. Der Markt belohnt niedrige Kosten und - damit verbunden - niedrige Preise mit
steigender Nachfrage. Trotz niedrigerer Preise können die Unternehmen steigende Umsätze
verzeichnen, da der Mengenabsatz überproportional anwächst. Eine Spirale entsteht zu immer
minderwertigerer Ware, schnellerem Verschleiß und höherem Ressourceneinsatz. Klar ist
jedoch, dass der frühzeitige Austausch von Geräten kaum Signal des Fortschritts ist und
erhebliche Auswirkungen hat. Der Großteil der Produkte wird nicht oder nur sehr
eingeschränkt recycelt. So werden in Deutschland von den etwa 1,7 Millionen Tonnen
Elektrogeräten, die jährlich verkauft werden, nur 40 Prozent sachgemäß verwertet. Die Folge:
die Müllberge wachsen, die Rohstoffreserven schrumpfen, Energieressourcen werden
verschwendet und die CO2-Emissionen steigen.
Das alles geht häufig zulasten ökologischer, menschenrechtlicher und sozialer Standards
insbesondere in der sog. „Dritten Welt“: Es herrscht ein schier unersättlicher und weltweit
steigender Hunger nach Rohstoffen („ressource grabbing“). Die daraus resultierende
rücksichtslose Ausbeutung von Lagerstätten führt in vielen Ländern des globalen Südens zu
gewaltsamen Konflikten und massiven Umweltschäden und ist einer der Gründe für die
weltweiten Migrationsbewegungen.
Und natürlich macht sich das auch ökonomisch bemerkbar: allein für Deutschland wird eine
verlorene Kaufkraft von über 100 Milliarden Euro geschätzt – also mehr, als wir für Energie
(Strom, Gas, Heizöl, Fernheizung) ausgeben. Leidtragende sind verärgerte Bürgerinnen und
Bürger, die häufiger Ersatz anschaffen müssen, zukünftige Generationen, denen wir die
Lebensgrundlagen entziehen, und natürlich die Umwelt, durch den unnötigen
Ressourcenverbrauch und die ständig wachsenden Emissionen von Schadstoffen.
Nachhaltige Produkte lassen sich meist nur schwer oder gar nicht erkennen. Wir Grüne machen
uns deshalb stark für langlebige und reparaturfreundliche Produkte. Langlebige Produkte sind
in der Ökobilanz grundsätzlich umweltfreundlicher, selbst wenn Nachfolgeprodukte weniger
Energie im Einsatz verbrauchen. Sie schonen also die Umwelt und den Geldbeutel.
Typischerweise machen gerade kleine und mittelständische Unternehmen mit hoher Qualität,
verbraucherorientierten Service und dem Kundendienst vor Ort den Unterschied zu
Billigprodukten. Dies stärkt vor allem die regionale Wirtschaft. Ferner kann das Handwerk
durch den Trend zurück zur Reparatur ein wichtiges Standbein ausbauen.
Wir Grüne wollen mit verschiedenen Maßnahmen langlebige Produkte fördern und
Verbraucherinnen und Verbraucher und die Umwelt entlasten. Wir setzen uns auf den
unterschiedlichen Ebenen ein für
- eine bessere Kennzeichnung von langlebigen Produkten, z. B. durch Herstellerhinweise
zur durchschnittlichen Lebensdauer oder zur Mindestlebensdauer (Garantieaussagen),
- die Kennzeichnung reparaturfreundlicher Produktdesigns, z. B. nach dem
österreichischen Vorbild des dortigen „Gütezeichen für langlebige,
reparaturfreundliche konstruierte elektrische und elektronische Geräte“ oder dem
Vorschlag „Schraubenschlüssel“ der Reparatur-Initiativen in Deutschland,
- die Definition von Mindestanforderungen an Qualität und Haltbarkeit (z. B.
Festschreibungen in der EU-Ökodesign-Richtlinie) und eine Ausweitung des
Mangelbegriffs im Gewährleistungsrecht,
- eine längere, produktabhängige Gewährleistungsdauer,
- eine gesetzliche Grundlage zur einfacheren Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen
(z. B. durch Beweislastumkehr, durch einfache Erreichbarkeit des Herstellers,
Rücksendemöglichkeiten, kurze Bearbeitungszeiten, Anspruch auf Vor-Ort-Service bei
Großgeräten) unter Beteiligung des Internethandels und deren Vermittlern
(Verkaufsplattformen),
- eine verpflichtende Rücknahme und fachgerechtes Recycling von defekten Elektrogeräten
auch durch den Versandhandel und Händler mit wenigstens 400 m² Verkaufsfläche
- den verbesserten und dauerhaften Zugang zu kostengünstigen Ersatzteilen, auch durch
die Entkriminalisierung der Digitalisierung oder Veröffentlichung von
Reparaturunterlagen,
- die strafrechtliche Ahndung der absichtlichen Verringerung der Lebensdauer von
Produkten, ähnlich des französischen Betrugsdelikts „geplante Obsoleszenz“,
- Repair-Cafés, also Einrichtungen, in denen defekte Geräte kostenlos und unter der
Anleitung von Experten wieder funktionsfähig gemacht werden,
- eine einfache Zugänglichkeit zu Informationen über langlebige und reparaturfreundliche
Geräte.
Weitere Antragsteller*innen
- Stefan Schmidt (KV Regensburg Stadt)
- Herbert Nebel (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Peter Maiwald (KV Ammerland)
- Friedrich Ostendorff (KV Unna)
- Dr. Markus Büchler (KV München Land)
- Ekin Deligoez (KV Neu-Ulm)
- Bola Olalowo (KV Berlin Kreisfrei)
- Lisa Paus (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Erhard Grundl (KV Straubing Bogen)
- Joachim Schmitt (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Wolfgang Remmers (KV Berlin kreisfrei)
- Dr. Christiane Fry (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Beppo Brem (KV München Stadt)
- Barbara Pfeuffer (KV Würzburg Land)
- Volkmar Nickol (KV Berlin Kreisfrei)
- Michael Gerr (KV Würzburg Stadt)
- Nicole Maisch (KV Kassel)
- Hermann Ott (KV Berlin-Steglitz/Zehlendorf)
- Dieter Janecek (KV München Stadt)
Änderungsanträge
- V-65-074 (Peter Meiwald (KV Ammerland), Eingereicht)
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