Antrag: | Neustart für den fairen Handel: CETA-Vertag nicht zustimmen (erledigt durch V-55/V-31) |
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Antragsteller*in: | Katharina Dröge (KV Köln) |
Status: | Von der Antragskommission geprüft |
Eingereicht: | 21.10.2016, 21:49 |
V-55-024: Neustart für den fairen Handel: CETA-Vertag nicht zustimmen (erledigt durch V-55/V-31)
Titel
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Neustart für den fairen Handel: CETA-Vertag nicht zustimmen
Antragstext
Nach Zeile 24 einfügen:
- Multilaterale Lösungen haben für uns immer Vorrang vor bilateralen Abkommen.
Die europäische Bewegung gegen die Handelsabkommen CETA und TTIP gehört zu den Sternstunden
der europäischen Demokratie. Sie hat es geschafft, weitestgehend intransparente
Verhandlungen öffentlich zu machen und eine breite Diskussion über die komplizierten und
vielschichtigen Handelsbeziehungen zwischen Europa, den USA und Kanada zu erzeugen. Wir
Grüne teilen das Anliegen der Zivilgesellschaft, den internationalen Handel fair und
ökologisch zu gestalten. In der Konsequenz haben wir uns von Anfang an der kritischen
Auseinandersetzung mit CETA und TTIP beteiligt und unsere politischen Ziele in
anspruchsvolle Kriterien für gute Handelsabkommen übersetzt. Zumindest der CETA-Vertragstext
liegt nun in fertiger Form vor und die rechtsgültigen Abstimmungen in den europäischen und
nationalen Gremien rücken näher. Durch die Einstufung von CETA als gemischtes Abkommen
werden wir GRÜNE im Europäischen Parlament und im Bundestag über den Vertrag abstimmen. Im
Bundesrat werden Landesregierungen mit Grüner Regierungsbeteiligung über die Ratifizierung
entscheiden. Nach Jahren der Aufklärung, des Protests und der politischen Kontroverse kommt
nun der Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen, die von uns definierten Kriterien anzulegen und den
Vertragstext als Partei zu bewerten.
I Grüne Kriterien für fairen Handel
Internationale Handelsabkommen können globale Standards positiv prägen und sinnvoll
harmonisieren. Die Vorteile von multilateralen Verträgen, die von einer großen Gruppe von
Vertragspartner*innen geschlossen werden, überwiegen in dieser Hinsicht die von bilateralen
Vereinbarungen, wie sie derzeit zwischen der EU und vielen anderen Staaten, darunter Kanada
oder die USA, angestrebt werden. Nicht zuletzt nach dem Abschluss des Pariser Klimavertrags
muss der internationale Wirtschaftsverkehr dringend reformiert und entlang der Ziele einer
nachhaltigen Transformation verändert werden. Für Handelsverträge, die diesen Ansprüchen
genügen, haben wir Grüne deshalb umfangreiche Kriterien definiert:
- Multilaterale Lösungen haben für uns immer Vorrang vor bilateralen Abkommen.
- Das bestehende Schutzniveau darf nicht abgesenkt werden, indem Standards in den
Bereichen Verbraucher*innenschutz, Arbeitsschutz, Umweltschutz, Datenschutz, soziale
Sicherheit, kommunale Daseinsvorsorge, Kultur und Bildung angefochten oder aufgeweicht
werden.
- Es dürfen keine Sonderklagerechte für Investoren geschaffen werden.
- Die Verhandlungen sollten unter größtmöglicher Transparenz stattfinden. Dazu gehört
auch die umfassende und frühestmögliche Unterrichtung von Europaparlament, Bundestag
und Bundesrat.
- Das europäischen Vorsorgeprinzip darf seine starke Stellung nicht verlieren. Daraus
folgt unter anderem der Erhalt von Zulassungs- und Einfuhrregeln für gentechnisch
veränderte Organismen und das Anwendungsverbot von Hormonen zu Mastzwecken.
- Die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Tierhaltung darf nicht
beeinträchtigt werden. Dazu gehört der Schutz regionaler Erzeugnisse,
Qualitätssicherung in der Lebensmittelkette und keine weitere Monopolisierung der
landwirtschaftlichen Strukturen.
- Bilaterale Handelsabkommen müssen die Ziele des Pariser Weltklimavertrags unterstützen
und den Umstieg von fossilen auf erneuerbarer Energien unterstützen.
- Kultur sollte kapitelübergreifend vom Regelungsbereich des Abkommens ausgenommen
werden, um die mitgliedsstaatliche Kulturhoheit zu erhalten.
- Die Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen geschützt werden und die Anwendung der ILO-
Kernarbeitsnormen gestärkt werden.
- Es darf kein zusätzlicher Privatisierungs- oder Liberalisierungsdruck auf die
öffentliche Daseinsvorsorge ausgeübt werden – Rekommunalisierungen müssen weiter
möglich bleiben. Um die Entscheidungsfreiheit der kommunalen Gebietskörperschaften
nicht einzuschränken, muss die öffentliche Daseinsvorsorge komplett vom
Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen werden.
- Zudem muss das europäische Subsidiaritätsprinzip umfassend beachtet werden.
II Investor-Staat-Klagen: Konzern-Justiz im neuen Gewand
Der vorliegende CETA-Vertrag wird diesem umfangreichen Kriterienkatalog nicht gerecht. Im
Gegenteil widerspricht er in zentralen Punkten unserer Auffassung von einem fairen
Welthandel.
Aus guten Gründen lehnen wir GRÜNE Sonderklagerechte für internationale Konzerne ab. Die
bisherige Praxis hat gezeigt, dass sogenannte „Investor-Staat- Schiedsgerichte“ von
transnationalen Konzernen genutzt werden, um Entscheidungen demokratisch gewählter
Regierungen zu verurteilen und Staaten auf Entschädigungszahlungen zu verklagen. Angesichts
der massiven Kritik an den herkömmlichen privaten Schiedsgerichten hat die EU-Kommission das
gewohnte System im CETA-Vertrag leicht abgeändert. Das neue „Investment Court System“ (ICS)
kann unsere Bedenken aber nicht entkräften. Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung
der „Richter“ des ICS noch deren Stellung genügt den internationalen Anforderungen an die
Unabhängigkeit von Gerichten. „Richter“ des ICS haben weiterhin einen materiellen Anreiz,
die Zahl der aussichtsreichen Klagefälle zu erhöhen. Das vorgesehene „right to regulate“
bleibt zu unspezifisch und würde die öffentliche Regulierungshoheit nur unzureichend
schützen. Vielmehr würden Investoren sich auf weitreichend interpretierbare und einseitig
auslegbare Rechtsbegriffe, wie eine „faire und gerechte Behandlung“ sowie „legitime
Erwartungen“, berufen können, um juristisch gegen demokratische Regulierungen vorzugehen,
die ihre Geschäftspraktiken einschränken. Die Erfahrungen aus anderen Handelsabkommen wie
NAFTA, der nordamerikanischen Freihandelszone, zeigen, dass sich solche Klagen oft gegen
Umweltgesetze richten. Im Ergebnis würde demnach vor allem grüne Politik unter den-
unzumutbaren Vorbehalt gestellt, eventuell Schadenersatzansprüche und Kompensationen bis zu
mehreren Milliarden Euro nach sich zu ziehen.
III Harmonisierung auf niedrigem Schutzniveau
Mit CETA wird die wechselseitige Anerkennung und Harmonisierung von Produktstandards
angestrebt. Konkret läuft der Vertrag darauf hinaus, wichtige politische Regeln und
Instrumente des Verbraucher*innenschutzes abzuschwächen und auszuhebeln. Das
Vorsorgeprinzip, ein unerlässliches Wesensmerkmal europäischer Zulassungsverfahren, wird
durch CETA degradiert. Aus einem bewährten Leitprinzip wird im Vertragstext eine Randnotiz
einzelner Unterkapitel. Stattdessen wird der nordamerikanische Ansatz der Risikoüberprüfung
aufgewertet. Dadurch wird präventiven Erzeugungs- und Einfuhrverboten von risikobehafteten
Gütern die rechtliche Grundlage entzogen. Demnach müssten gefährliche Güter solange
zugelassen werden bis deren Gefährlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist (etwa durch
Todesfälle oder wiederholt auftretende negative Langzeitfolgen).
Die europäischen Standards in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion würden durch
CETA ebenfalls aufgeweicht werden. Mit der vereinbarten Kooperation bei gentechnischen
Verunreinigungen, der sogenannten 'low level presence' in Exportgütern, würde die bisherige
Nulltoleranz aufgegeben. Mit dem neuen Leitprinzip der wissenschaftsbasierten Zulassung,
würde auch die geltende Opt-out- Regel ins Wanken geraten. Sie erlaubt es einzelnen EU-
Mitgliedsländern bislang, den Anbau von Genpflanzen nicht zu genehmigen.
Darüber hinaus existiert in Kanada kein System von Herkunftsbezeichnungen und von den vielen
tausend regionalen Siegeln, wie zum Beispiel dem Schwarzwälder Schinken, werden im CETA-
Vertragstext nur 173 Produkte erfasst. Die Entwicklung einer ökologischeren Landwirtschaft,
an der Verbraucher*innen bewusst teilnehmen können, ist im Vertrag unzureichend verankert
und kaum geschützt.
IV CETA gefährdet öffentliche Daseinsvorsorge und staatliche Regulierung
Öffentliche Dienstleistungen stellen für multinationale Konzerne lukrative Sektoren für
Investitionen dar. Mit CETA wird der Versuch unternommen, diese für private Konzerne weiter
zu öffnen und damit die Privatisierung und Liberalisierung der Daseinsvorsorge und
öffentlicher Gütern voranzutreiben. Das betrifft besonders auch die Länder und Kommunen. Wir
GRÜNE stellen uns dieser Entdemokratisierung entgegen.
Besonders problematisch ist der dabei angewandte Negativlistenansatz. Anders als bei
Positivlisten, mit denen die WTO arbeitet, werden dadurch prinzipiell alle öffentlichen
Dienstleistungen für Konzerne geöffnet. Nur die im Vertrag explizit aufgezählten Bereiche
werden partiell von diesem Privatisierungsdruck ausgenommen. Durch die Klagemöglichkeiten
von Konzernen unter dem Investitionskapitel werden selbst die wenigen Ausnahmen unter
einseitigen Druck geraten und weiter ausgehöhlt werden. Wie löchrig die Ausnahmen sind,
zeigt das Beispiel Wasser. Während die Trinkwasserversorgung formal nicht privatisiert
werden muss, endet diese Regelung bereits bei den Abwasserdienstleistungen, für welche die
Ausnahmen beim Marktzugang und der Gleichbehandlung ausländischer Investoren nicht gelten.
CETA bedroht hier wie auch in anderen Bereichen die kommunale Selbstverwaltung.
Der CETA-Vertrag läuft im Endeffekt darauf hinaus, die Reichweite und die Effektivität von
sinnvollen sozial-ökologischen Regulierungen auszuhöhlen. In der Logik des Abkommens, das
politische Entscheidungen wie Handelshemmnisse behandelt, ist es folgerichtig, den
demokratischen Institutionen ein koordinierendes Gremium voranzustellen. In der geplanten
regulatorischen Kooperation könnten wirtschaftliche Interessen möglichst frühzeitig
berücksichtigt werden. Dadurch würde ein Forum entstehen, das Lobbygruppen und Verbände
bereits vor den zuständigen Parlamenten über neue Gesetze informiert und sie in deren
Aushandlung einbezieht. CETA würde praktisch ein Frühwarnsystem für Wirtschaftslobbys
etablieren. Denn nur besonders finanzstarke Lobbyorganisationen können sich die
Einflussnahme leisten. Dass solche Befürchtungen nicht übertrieben sind, hat unter anderem
die Verwässerung der europäischen Kraftstoffqualitätsrichtlinie gezeigt. Sie wurde bereits
im Jahr 2009 eingeführt, um die Emissionen im Verkehr um sechs Prozent zu senken. Zu diesem
Zweck sollten die verschiedenen Treibstoffarten klassifiziert werden, um die besonders
klimaschädlichen, darunter Fracking-Öl aus Kanada, besser aussortieren zu können. Durch eine
groß angelegte Kampagne gelang es Öl-Unternehmen und Verbänden die Durchführungsbestimmungen
der EU in ihrem Interesse zu beeinflussen. Anders als es ursprünglich geplant war, muss die
Zusammensetzung von importiertem Öl nun nicht mehr offengelegt werden - die Klassifizierung
der Treibstoffe läuft damit komplett ins Leere. Dieser Fall sollte zur Vorsicht mahnen.
Statt offizielle und dokumentierte Kontakte zwischen Verbänden und Parlamentariern aufwändig
pflegen zu müssen, würden Partikularinteressen zukünftig ein offizielles Beteiligungsrecht
bei Regulierungsprozessen erhalten.
Grüne Bilanz des CETA-Vertrags
In der Gesamtschau bestätigt der fertig vorliegende CETA-Vertrag unsere seit langem
geäußerten Befürchtungen vor den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen des
Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada. Unsere Kritik konnte durch die Nachverhandlung
des ursprünglichen Vertragsentwurfes und geplante zusätzliche Protokollerklärungen nicht
entschärft werden. Die Potenziale fairen Handels, den Lebensstandard zu heben, die Rechte
von Arbeitnehmer*innen zu stärken und die ökologische Transformation der Wirtschaft
voranzubringen, wurden nicht ansatzweise ausgeschöpft. Stattdessen dominieren jenseits der
wohlklingenden Präambeln die Gewinninteressen von institutionellen Anlegern und
transnationalen Konzernen. Die Absichtserklärung der Bundesregierung, den Vertrag durch
Zusatzprotokolle zu entschärfen, ist reine Augenwischerei, um die Öffentlichkeit zu
beruhigen und parteiinterne Mehrheiten zu sichern. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich für
uns GRÜNE folgende Bewertung des Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada:
CETA widerspricht den Kriterien, die wir GRÜNE an faire Handelsabkommen anlegen. Die
Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen bekundet deshalb ihre Ablehnung des
fertig vorliegenden Vertragstextes und fordert die grünen Entscheidungsträger*innen in
Europa, dem Bund und den Bundesländern dazu auf, dem Handelsabkommen nicht zuzustimmen.
Stattdessen setzen wir GRÜNE uns weiterhin für Handelsabkommen ein, die transparent
verhandelt werden, nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien
ausgerichtet sind und zugleich die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen
Institutionen nicht in Frage stellen. Nur wenn Handelsabkommen diesen Maßstäben folgen,
können sie hilfreich zur Erreichung unserer politischen Ziele sein. CETA muss deshalb
gestoppt und die Verhandlungen zu dem EU-Kanada-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben neu
aufgestellt werden. Die EU sollte gleichzeitig alles daransetzen, die multilateralen
Verhandlungen im Rahmen der WTO nach den Maßstäben des fairen Handels neu zu beleben.
Weitere Antragsteller*innen
- Frithjof Schmidt (KV Bochum)
- Maria Klein-Schmeink (KV Münster)
- Ulle Schauws (KV Krefeld)
- Julia Verlinden (KV Lüneburg)
- Sven Lehmann (KV Köln)
- Stefan Lange (KV Neukölln)
- Ska Keller (KV Spree-Neiße)
- Lisa Paus (KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
- Kathrin Henneberger (KV Köln)
- Irene Mihalic (KV Gelsenkirchen)
- Hans Schwanitz (KV Köln)
- Stefan Wolters (KV Köln)
- Volker Beck (KV Köln)
- Rasmus Andresen (KV Flensburg)
- Dennis Melerski (KV Gelsenkirchen)
- Berivan Aymaz (KV Köln)
- Verena Schäffer (KV Ennepe-Ruhr)
- Judith Hasselmann (KV Köln)
- Max Löffler (KV Köln)
Nach Zeile 24 einfügen:
- Multilaterale Lösungen haben für uns immer Vorrang vor bilateralen Abkommen.
Die europäische Bewegung gegen die Handelsabkommen CETA und TTIP gehört zu den Sternstunden
der europäischen Demokratie. Sie hat es geschafft, weitestgehend intransparente
Verhandlungen öffentlich zu machen und eine breite Diskussion über die komplizierten und
vielschichtigen Handelsbeziehungen zwischen Europa, den USA und Kanada zu erzeugen. Wir
Grüne teilen das Anliegen der Zivilgesellschaft, den internationalen Handel fair und
ökologisch zu gestalten. In der Konsequenz haben wir uns von Anfang an der kritischen
Auseinandersetzung mit CETA und TTIP beteiligt und unsere politischen Ziele in
anspruchsvolle Kriterien für gute Handelsabkommen übersetzt. Zumindest der CETA-Vertragstext
liegt nun in fertiger Form vor und die rechtsgültigen Abstimmungen in den europäischen und
nationalen Gremien rücken näher. Durch die Einstufung von CETA als gemischtes Abkommen
werden wir GRÜNE im Europäischen Parlament und im Bundestag über den Vertrag abstimmen. Im
Bundesrat werden Landesregierungen mit Grüner Regierungsbeteiligung über die Ratifizierung
entscheiden. Nach Jahren der Aufklärung, des Protests und der politischen Kontroverse kommt
nun der Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen, die von uns definierten Kriterien anzulegen und den
Vertragstext als Partei zu bewerten.
I Grüne Kriterien für fairen Handel
Internationale Handelsabkommen können globale Standards positiv prägen und sinnvoll
harmonisieren. Die Vorteile von multilateralen Verträgen, die von einer großen Gruppe von
Vertragspartner*innen geschlossen werden, überwiegen in dieser Hinsicht die von bilateralen
Vereinbarungen, wie sie derzeit zwischen der EU und vielen anderen Staaten, darunter Kanada
oder die USA, angestrebt werden. Nicht zuletzt nach dem Abschluss des Pariser Klimavertrags
muss der internationale Wirtschaftsverkehr dringend reformiert und entlang der Ziele einer
nachhaltigen Transformation verändert werden. Für Handelsverträge, die diesen Ansprüchen
genügen, haben wir Grüne deshalb umfangreiche Kriterien definiert:
- Multilaterale Lösungen haben für uns immer Vorrang vor bilateralen Abkommen.
- Das bestehende Schutzniveau darf nicht abgesenkt werden, indem Standards in den
Bereichen Verbraucher*innenschutz, Arbeitsschutz, Umweltschutz, Datenschutz, soziale
Sicherheit, kommunale Daseinsvorsorge, Kultur und Bildung angefochten oder aufgeweicht
werden.
- Es dürfen keine Sonderklagerechte für Investoren geschaffen werden.
- Die Verhandlungen sollten unter größtmöglicher Transparenz stattfinden. Dazu gehört
auch die umfassende und frühestmögliche Unterrichtung von Europaparlament, Bundestag
und Bundesrat.
- Das europäischen Vorsorgeprinzip darf seine starke Stellung nicht verlieren. Daraus
folgt unter anderem der Erhalt von Zulassungs- und Einfuhrregeln für gentechnisch
veränderte Organismen und das Anwendungsverbot von Hormonen zu Mastzwecken.
- Die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Tierhaltung darf nicht
beeinträchtigt werden. Dazu gehört der Schutz regionaler Erzeugnisse,
Qualitätssicherung in der Lebensmittelkette und keine weitere Monopolisierung der
landwirtschaftlichen Strukturen.
- Bilaterale Handelsabkommen müssen die Ziele des Pariser Weltklimavertrags unterstützen
und den Umstieg von fossilen auf erneuerbarer Energien unterstützen.
- Kultur sollte kapitelübergreifend vom Regelungsbereich des Abkommens ausgenommen
werden, um die mitgliedsstaatliche Kulturhoheit zu erhalten.
- Die Rechte von Arbeitnehmer*innen müssen geschützt werden und die Anwendung der ILO-
Kernarbeitsnormen gestärkt werden.
- Es darf kein zusätzlicher Privatisierungs- oder Liberalisierungsdruck auf die
öffentliche Daseinsvorsorge ausgeübt werden – Rekommunalisierungen müssen weiter
möglich bleiben. Um die Entscheidungsfreiheit der kommunalen Gebietskörperschaften
nicht einzuschränken, muss die öffentliche Daseinsvorsorge komplett vom
Anwendungsbereich des Abkommens ausgenommen werden.
- Zudem muss das europäische Subsidiaritätsprinzip umfassend beachtet werden.
II Investor-Staat-Klagen: Konzern-Justiz im neuen Gewand
Der vorliegende CETA-Vertrag wird diesem umfangreichen Kriterienkatalog nicht gerecht. Im
Gegenteil widerspricht er in zentralen Punkten unserer Auffassung von einem fairen
Welthandel.
Aus guten Gründen lehnen wir GRÜNE Sonderklagerechte für internationale Konzerne ab. Die
bisherige Praxis hat gezeigt, dass sogenannte „Investor-Staat- Schiedsgerichte“ von
transnationalen Konzernen genutzt werden, um Entscheidungen demokratisch gewählter
Regierungen zu verurteilen und Staaten auf Entschädigungszahlungen zu verklagen. Angesichts
der massiven Kritik an den herkömmlichen privaten Schiedsgerichten hat die EU-Kommission das
gewohnte System im CETA-Vertrag leicht abgeändert. Das neue „Investment Court System“ (ICS)
kann unsere Bedenken aber nicht entkräften. Weder das vorgesehene Verfahren zur Ernennung
der „Richter“ des ICS noch deren Stellung genügt den internationalen Anforderungen an die
Unabhängigkeit von Gerichten. „Richter“ des ICS haben weiterhin einen materiellen Anreiz,
die Zahl der aussichtsreichen Klagefälle zu erhöhen. Das vorgesehene „right to regulate“
bleibt zu unspezifisch und würde die öffentliche Regulierungshoheit nur unzureichend
schützen. Vielmehr würden Investoren sich auf weitreichend interpretierbare und einseitig
auslegbare Rechtsbegriffe, wie eine „faire und gerechte Behandlung“ sowie „legitime
Erwartungen“, berufen können, um juristisch gegen demokratische Regulierungen vorzugehen,
die ihre Geschäftspraktiken einschränken. Die Erfahrungen aus anderen Handelsabkommen wie
NAFTA, der nordamerikanischen Freihandelszone, zeigen, dass sich solche Klagen oft gegen
Umweltgesetze richten. Im Ergebnis würde demnach vor allem grüne Politik unter den-
unzumutbaren Vorbehalt gestellt, eventuell Schadenersatzansprüche und Kompensationen bis zu
mehreren Milliarden Euro nach sich zu ziehen.
III Harmonisierung auf niedrigem Schutzniveau
Mit CETA wird die wechselseitige Anerkennung und Harmonisierung von Produktstandards
angestrebt. Konkret läuft der Vertrag darauf hinaus, wichtige politische Regeln und
Instrumente des Verbraucher*innenschutzes abzuschwächen und auszuhebeln. Das
Vorsorgeprinzip, ein unerlässliches Wesensmerkmal europäischer Zulassungsverfahren, wird
durch CETA degradiert. Aus einem bewährten Leitprinzip wird im Vertragstext eine Randnotiz
einzelner Unterkapitel. Stattdessen wird der nordamerikanische Ansatz der Risikoüberprüfung
aufgewertet. Dadurch wird präventiven Erzeugungs- und Einfuhrverboten von risikobehafteten
Gütern die rechtliche Grundlage entzogen. Demnach müssten gefährliche Güter solange
zugelassen werden bis deren Gefährlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist (etwa durch
Todesfälle oder wiederholt auftretende negative Langzeitfolgen).
Die europäischen Standards in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion würden durch
CETA ebenfalls aufgeweicht werden. Mit der vereinbarten Kooperation bei gentechnischen
Verunreinigungen, der sogenannten 'low level presence' in Exportgütern, würde die bisherige
Nulltoleranz aufgegeben. Mit dem neuen Leitprinzip der wissenschaftsbasierten Zulassung,
würde auch die geltende Opt-out- Regel ins Wanken geraten. Sie erlaubt es einzelnen EU-
Mitgliedsländern bislang, den Anbau von Genpflanzen nicht zu genehmigen.
Darüber hinaus existiert in Kanada kein System von Herkunftsbezeichnungen und von den vielen
tausend regionalen Siegeln, wie zum Beispiel dem Schwarzwälder Schinken, werden im CETA-
Vertragstext nur 173 Produkte erfasst. Die Entwicklung einer ökologischeren Landwirtschaft,
an der Verbraucher*innen bewusst teilnehmen können, ist im Vertrag unzureichend verankert
und kaum geschützt.
IV CETA gefährdet öffentliche Daseinsvorsorge und staatliche Regulierung
Öffentliche Dienstleistungen stellen für multinationale Konzerne lukrative Sektoren für
Investitionen dar. Mit CETA wird der Versuch unternommen, diese für private Konzerne weiter
zu öffnen und damit die Privatisierung und Liberalisierung der Daseinsvorsorge und
öffentlicher Gütern voranzutreiben. Das betrifft besonders auch die Länder und Kommunen. Wir
GRÜNE stellen uns dieser Entdemokratisierung entgegen.
Besonders problematisch ist der dabei angewandte Negativlistenansatz. Anders als bei
Positivlisten, mit denen die WTO arbeitet, werden dadurch prinzipiell alle öffentlichen
Dienstleistungen für Konzerne geöffnet. Nur die im Vertrag explizit aufgezählten Bereiche
werden partiell von diesem Privatisierungsdruck ausgenommen. Durch die Klagemöglichkeiten
von Konzernen unter dem Investitionskapitel werden selbst die wenigen Ausnahmen unter
einseitigen Druck geraten und weiter ausgehöhlt werden. Wie löchrig die Ausnahmen sind,
zeigt das Beispiel Wasser. Während die Trinkwasserversorgung formal nicht privatisiert
werden muss, endet diese Regelung bereits bei den Abwasserdienstleistungen, für welche die
Ausnahmen beim Marktzugang und der Gleichbehandlung ausländischer Investoren nicht gelten.
CETA bedroht hier wie auch in anderen Bereichen die kommunale Selbstverwaltung.
Der CETA-Vertrag läuft im Endeffekt darauf hinaus, die Reichweite und die Effektivität von
sinnvollen sozial-ökologischen Regulierungen auszuhöhlen. In der Logik des Abkommens, das
politische Entscheidungen wie Handelshemmnisse behandelt, ist es folgerichtig, den
demokratischen Institutionen ein koordinierendes Gremium voranzustellen. In der geplanten
regulatorischen Kooperation könnten wirtschaftliche Interessen möglichst frühzeitig
berücksichtigt werden. Dadurch würde ein Forum entstehen, das Lobbygruppen und Verbände
bereits vor den zuständigen Parlamenten über neue Gesetze informiert und sie in deren
Aushandlung einbezieht. CETA würde praktisch ein Frühwarnsystem für Wirtschaftslobbys
etablieren. Denn nur besonders finanzstarke Lobbyorganisationen können sich die
Einflussnahme leisten. Dass solche Befürchtungen nicht übertrieben sind, hat unter anderem
die Verwässerung der europäischen Kraftstoffqualitätsrichtlinie gezeigt. Sie wurde bereits
im Jahr 2009 eingeführt, um die Emissionen im Verkehr um sechs Prozent zu senken. Zu diesem
Zweck sollten die verschiedenen Treibstoffarten klassifiziert werden, um die besonders
klimaschädlichen, darunter Fracking-Öl aus Kanada, besser aussortieren zu können. Durch eine
groß angelegte Kampagne gelang es Öl-Unternehmen und Verbänden die Durchführungsbestimmungen
der EU in ihrem Interesse zu beeinflussen. Anders als es ursprünglich geplant war, muss die
Zusammensetzung von importiertem Öl nun nicht mehr offengelegt werden - die Klassifizierung
der Treibstoffe läuft damit komplett ins Leere. Dieser Fall sollte zur Vorsicht mahnen.
Statt offizielle und dokumentierte Kontakte zwischen Verbänden und Parlamentariern aufwändig
pflegen zu müssen, würden Partikularinteressen zukünftig ein offizielles Beteiligungsrecht
bei Regulierungsprozessen erhalten.
Grüne Bilanz des CETA-Vertrags
In der Gesamtschau bestätigt der fertig vorliegende CETA-Vertrag unsere seit langem
geäußerten Befürchtungen vor den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen des
Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada. Unsere Kritik konnte durch die Nachverhandlung
des ursprünglichen Vertragsentwurfes und geplante zusätzliche Protokollerklärungen nicht
entschärft werden. Die Potenziale fairen Handels, den Lebensstandard zu heben, die Rechte
von Arbeitnehmer*innen zu stärken und die ökologische Transformation der Wirtschaft
voranzubringen, wurden nicht ansatzweise ausgeschöpft. Stattdessen dominieren jenseits der
wohlklingenden Präambeln die Gewinninteressen von institutionellen Anlegern und
transnationalen Konzernen. Die Absichtserklärung der Bundesregierung, den Vertrag durch
Zusatzprotokolle zu entschärfen, ist reine Augenwischerei, um die Öffentlichkeit zu
beruhigen und parteiinterne Mehrheiten zu sichern. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich für
uns GRÜNE folgende Bewertung des Handelsabkommens zwischen der EU und Kanada:
CETA widerspricht den Kriterien, die wir GRÜNE an faire Handelsabkommen anlegen. Die
Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen bekundet deshalb ihre Ablehnung des
fertig vorliegenden Vertragstextes und fordert die grünen Entscheidungsträger*innen in
Europa, dem Bund und den Bundesländern dazu auf, dem Handelsabkommen nicht zuzustimmen.
Stattdessen setzen wir GRÜNE uns weiterhin für Handelsabkommen ein, die transparent
verhandelt werden, nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien
ausgerichtet sind und zugleich die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen
Institutionen nicht in Frage stellen. Nur wenn Handelsabkommen diesen Maßstäben folgen,
können sie hilfreich zur Erreichung unserer politischen Ziele sein. CETA muss deshalb
gestoppt und die Verhandlungen zu dem EU-Kanada-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben neu
aufgestellt werden. Die EU sollte gleichzeitig alles daransetzen, die multilateralen
Verhandlungen im Rahmen der WTO nach den Maßstäben des fairen Handels neu zu beleben.
Weitere Antragsteller*innen
- Frithjof Schmidt (KV Bochum)
- Maria Klein-Schmeink (KV Münster)
- Ulle Schauws (KV Krefeld)
- Julia Verlinden (KV Lüneburg)
- Sven Lehmann (KV Köln)
- Stefan Lange (KV Neukölln)
- Ska Keller (KV Spree-Neiße)
- Lisa Paus (KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
- Kathrin Henneberger (KV Köln)
- Irene Mihalic (KV Gelsenkirchen)
- Hans Schwanitz (KV Köln)
- Stefan Wolters (KV Köln)
- Volker Beck (KV Köln)
- Rasmus Andresen (KV Flensburg)
- Dennis Melerski (KV Gelsenkirchen)
- Berivan Aymaz (KV Köln)
- Verena Schäffer (KV Ennepe-Ruhr)
- Judith Hasselmann (KV Köln)
- Max Löffler (KV Köln)
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