Der bisherige Text ist missverstehbar formuliert, da der „öffentliche Friede“ nicht das Schutzziel der Strafrechtsparagraphen über Beleidigung, Verleumdung usw. Ist. Zudem wird die Faustrechts-Problematik des bisherigen Paragraphen 166 StGB nicht benannt.
Während aufgeklärte Gläubige keine Probleme mit satirischer Kunst haben und somit einen besonderen Glaubensschutz gar nicht benötigen, berufen sich gerade religiöse Fundamentalisten und Extremisten seit Jahrzehnten immer wieder auf § 166 StGB, um die Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit einzuschränken. Die hier zum Vorschein kommende Kritikunfähigkeit sollte vom Gesetzgeber nicht zusätzlich befördert werden. Borniertheit, Intoleranz und Humorlosigkeit sind keine Rechtsgüter, die unter Schutz gestellt werden sollten.
Zwar fallen die Verfahren wegen Straftaten, die sich auf Verunglimpfung von Religion und Weltanschauung beziehen, gegenüber der allgemeinen Kriminalität kaum ins Gewicht. Die negativen Auswirkungen des § 166 StGB lassen sich indes nicht allein an der Zahl der tatsächlichen Verurteilungen messen. Genug Anlass für eine Abschaffung der Vorschrift ist vielmehr bereits die Furcht vor gesellschaftlicher Stimmungsmache gegen Menschen, die ihre Grundrechte wahrnehmen, und gar vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit all seinen Konsequenzen, die Menschen von der Wahrnehmung ihrer verfassungsgemäß garantierten Rechte abhält. So fördert §166 StGB erfolgreich Selbstzensur.
Nicht zuletzt wäre die überfällige Abschaffung des „mittelalterlichen Diktaturparagraphen“ (Kurt Tucholsky) auch eine angemessene rechtsstaatliche Reaktion auf die Einschüchterungsversuche militanter Islamisten („Karikaturenstreit“ von 2006, Attentat auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ vom Januar 2015). Denn mit einer ersatzlosen Streichung von § 166 StGB würde der Gesetzgeber unmissverständlich klarstellen, dass der Freiheit der Kunst in einer modernen offenen Gesellschaft höheres Gewicht beizumessen ist als den „verletzten Gefühlen“ religiöser Fundamentalisten.
UN
Mit der Streichung von § 166 StGB käme der deutsche Staat auch einer wichtigen Forderung des UN-Menschenrechtskomitees nach. Dieses erklärte nämlich 2011, dass „Verbote von Darstellungen mangelnden Respekts vor einer Religion oder anderen Glaubenssystemen, einschließlich Blasphemiegesetzen, mit dem Vertrag [gemeint ist der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“, ICCPR] inkompatibel“ seien [Human Rights Committee: General comment No. 34, CCPR/C/GC/34, §48].2
Europarat
Auch die Venedig-Kommission des Europarats hat es »„weder für notwendig noch für wünschenswert erachtet, einen Straftatbestand der einfachen religiösen Beleidigung (also der Beleidigung religiöser Gefühle) ohne das Element der Aufstachelung zu Hass als einer wesentlichen Komponente zu schaffen“. Nach ihrer Auffassung sollte der Straftatbestand der Blasphemie abgeschafft, zumindest jedoch nicht wieder eingeführt werden«.3
Selbst die Vertreter der katholischen Kirche treten für die Abschaffung von „Blasphemieparagraphen“ ein – allerdings in Staaten wie z.B. Bangladesh, wo solche Bestimmungen nicht nur zur Atheisten-, sondern auch zur Christenverfolgung genutzt werden.
1http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__166.html
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