Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sylvia Kotting-Uhl (KV Karlsruhe) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.09.2016, 21:36 |
V-11: Atomausstieg endlich auch in der Energieforschung umsetzen: Kernfusion beenden!
Antragstext
Jahrzehntelang haben Grüne für den Ausstieg aus der Atomkraft gekämpft. Nach der
Reaktorkatastrophe von Fukushima wurde der Atomausstieg vom Deutschen Bundestag am 30. Juni
2011 zum zweitenmal beschlossen, diesmal fraktionsübergreifend von Regierungskoalition und
Opposition. Damit sollte der Weg frei gemacht sein für die Energiewende in Richtung
Erneuerbare, Einsparung und Effizienz. Wir stehen vor der großen Herausforderung und
gleichzeitig historischen Chance, als erste der großen Industrienationen die Transformation
in eine post-nukleare und CO2-neutrale Energiewirtschaft zu meistern.
In der Energieforschung ist der Atomausstieg allerdings längst nicht vollzogen. Noch immer
wird die Forschung an Kernfusion, Transmutation und Reaktoren der IV. Generation mit
Steuergeldern unterstützt - Techniken, die bei erfolgreicher Umsetzung den Wiedereinstieg in
die Atomwirtschaft bedeuten. Zusätzlich zu Euratom, das mit 20 Prozent von Deutschland
finanziert wird, sind im 6. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung dafür 600
Millionen Euro eingestellt.
Das größte Milliardengrab ohne Aussicht auf nennbare Erfolge ist dabei die Fusionsforschung,
wie vor allem das über Euratom finanzierte ITER-Projekt deutlich macht: ein
Kernfusionsreaktor, der unter Beteiligung von EU, USA, Russland, China, Indien, Japan und
Südkorea im südfranzösischen Cadarache gebaut werden soll. Von ursprünglich geplanten 4,6
Milliarden Euro sind die Kosten auf mittlerweile 17 Milliarden Euro gestiegen. Die EU trägt
davon 45%, die anderen Partner jeweils 9%. Zeitliche Verzögerungen, Missmanagement und
mangelnde Transparenz sind an der Tagesordnung. Im November letzten Jahres wurden weitere
Kostensteigerungen und Verspätungen bei der Fertigstellung benannt. Zusätzlich arbeitet
Deutschland im Greifswalder Kernfusionsexperiment „Wendelstein 7-X“ an der Nutzung der
Kernfusion und investiert große Summen an Steuergeldern.
Selbst wenn die Kernfusion nicht so risikoreich ist wie die Atomspaltung, da es bei ihr
keine Kernschmelze geben kann und deutlich weniger Radioaktivität entsteht, ist diese
Technologie nicht ohne radioaktive Risiken zu haben. Der radioaktive Fusionsbrennstoff
Tritium ist schon im Normalbetrieb schwer zu beherrschen. Tritium hat die Eigenschaft, durch
Materialien zu diffundieren und kann im menschlichen Körper Krebs hervorrufen. Durch einen
Unfall oder Anschläge kann radioaktives Material aus den Reaktoren freigesetzt werden. Und
auch die Kernfusion produziert radioaktiven Müll, für den es ein Endlager braucht.
Fusionsforschung ist extrem teuer. Sollte daraus jemals eine funktionierende Technologie
entstehen, wird diese in der Hand des reichen globalen Nordens sein. Der große Energiehunger
der nächsten Jahrzehnte ist aber vor allem in den Ländern des Südens zu erwarten. Es ist
fraglich, ob die überkomplexe und hochzentralisierte Form der Energieerzeugung mit
Fusionsreaktoren für die Sozial- und Wirtschaftsstrukturen vieler Länder des Südens geeignet
ist. Die Eigner werden sich zudem fragen, ob sie diese Technologie mit dem Potenzial zur
Massenvernichtungswaffe überhaupt aus der Hand geben wollen. Auch die „friedliche Nutzung
der Kernfusion“ kann die militärische Nutzung von Atomtechnologien erleichtern und zu deren
Verbreitung beitragen.
Gemäß der sogenannten „Fusionskonstante“ verschiebt sich konstant die Prognose, dass in
jeweils ca. 30 bis 35 Jahren mittels kontrollierter Verschmelzung der Wasserstoffisotope
Deuterium und Tritium Energie produziert werden könne. Entsprechend nennt die Prognose, wann
diese Technologie einsatzbereit sein werde, jetzt das Jahr 2050. Bis dahin werden wir
allerdings unsere Energieerzeugung längst vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt
haben müssen und Wind- und Sonnenstrom werden unschlagbar billig sein. Unsere Gesellschaft
wird, um der Klimaschutzziele willen, den effizienten Umgang mit Energie gelernt haben
müssen. Der Beitrag, den die Kernfusion in den entscheidenden Jahren bis 2050 zur
Klimarettung leisten kann, liegt eindeutig bei Null. Im Gegenteil, Kernfusion bindet
Forschungsgelder, die beim Kampf gegen den Klimawandel in anderen Forschungs- und
Entwicklungsprojekten effektiver helfen könnten. Die zentrale, schlecht regelbare
Großstromerzeugung von Fusionsreaktoren wäre zudem schon heute nicht mehr zeitgemäß.
An der technischen Umsetzbarkeit des ITER hat selbst das BMBF Zweifel. Der von ihm in
Auftrag gegebene ITER-Expertenbericht aus dem Herbst 2013 empfiehlt ein verbessertes Zeit-
und Kostenmanagement, der Finanzausschuss des Bundesrates forderte im November desselben
Jahres, dass die EU sich aus der Finanzierung von ITER sobald wie möglich zurückziehen
sollte und der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments verweigerte im März 2015 zunächst die
Entlastung des ITER-Projekthaushaltes für 2013.
In der Regierungsbefragung vom 6. Mai 2015 zur Vorstellung des Energieforschungsberichts
2015 kündigte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in Bezug auf ITER an: „Wir haben 2017 zum
ersten Mal die Möglichkeit, aus dem Programm auszusteigen. Ich finde, Sie (Sylvia Kotting-
Uhl) haben gerade kluge Argumente genannt, warum man das ins Auge fassen sollte. (…) Ich
persönlich bin allerdings der Auffassung, dass wir ab 2017 die Möglichkeit nutzen müssen,
die Gelder für die Forschung zu verwenden, deren Ergebnisse die Bundesrepublik Deutschland
am Ende sinnvoll nutzen kann. Das wird bei der Kernfusionsforschung nach meinem Eindruck
nicht mehr möglich sein, jedenfalls dann nicht, wenn wir die Energiewende konsequent zu Ende
führen.“
Diesen Worten müssen endlich Taten folgen. Für die Kernfusion ist in einer Zukunft der
Erneuerbaren kein Platz!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern von der Bundesregierung,
- bereits jetzt die notwendigen Schritte einzuleiten, um schnellstmöglich aus dem
Milliardengrab ITER aussteigen zu können;
- in Zukunft keine öffentlichen Gelder mehr für die Kernfusion im Bereich der
Energieforschung, Transmutation und Reaktoren der IV. Generation einzustellen, sondern diese
Mittel vollständig am Atomausstieg und dem Gelingen der Energiewende auszurichten.
Begründung
Begründung: bei Bedarf mündlich.
Nahezu identisch mit V 19 der BDK in Halle (Sylvia Kotting-Uhl und andere), damals zurückgezogen, um den beiden fachlich zuständigen BAGn (Energie und Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik) die gelegenheit einer gemeinsamen Meinungsbildung zu geben. Die vorliegende Fassung wurde auf der Sitzung der BAG Energie am 23.9.2016 mit sehr großer Mehrheit beschlossen und wird von der BAG WHT (vertreten durch die Sprecher*innen) unterstützt.
Weitere Antragsteller*innen
- Anja Schillhaneck (KV Berlin kreisfrei)
- Kai Gehring (KV Essen)
- Jutta Paulus (KV Neustadt/W.)
- Till Westermayer (KV Freiburg)
- Georg Kössler (KV Neukölln)
- Karl-Wilhelm Koch (KV Vulkaneifel)
- Hartwig Berger (KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
- Martin Scheuch (KV München-Stadt)
- Luisa Schwab (KV Köln)
- Eva Plonske (KV Berlin kreisfrei)
- Patrick Voyé (KV Marburg)
- Phillip Zeller (KV Halle/Saale)
- Michael Greiner (KV Berlin kreisfrei)
- Annette Jander (KV Berlin Mitte)
- Tobias Balke (KV Charlottenburg-Wilmersdorf)
- Claudia Hämmerling (KV Lichtenberg)
- Marius Pöthe (KV Reinickendorf)
- Lucas Höwner (KV Tempelhof-Schöneberg)
- Wera Pustlauk (KV Tempelhof-Schöneberg)
Änderungsanträge
- V-11-014 (Selina Storm (KV Hamburg Altona), Eingereicht)
- V-11-024 (Selina Storm (KV Hamburg Altona), Eingereicht)
- V-11-026 (Selina Storm (KV Hamburg Altona), Eingereicht)
- V-11-040 (Selina Storm (KV Hamburg Altona), Eingereicht)
- V-11-048 (Selina Storm (KV Hamburg-Altona), Eingereicht)
- V-11-070 (Selina Storm (KV Hamburg Altona), Eingereicht)
Kommentare
Rudi Seibt:
Ale Lebensweisheit: In der Kürze liegt die Würze.