Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Dietmar Johnen |
Status: | Erledigt |
Eingereicht: | 30.09.2016, 12:02 |
V-31: Fairer Handel für Europa statt CETA und TTIP! (erledigt durch V-55/V-31)
Titel
Antragstext
Fairer Handel für Europa statt CETA und TTIP!
Der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama auf der Industriemesse in Hannover im April wurde
allgemein als Versuch angesehen, wieder Schwung in die Verhandlungen um das Handelsabkommen
TTIP zu bringen. Das Treffen sollte auch dazu dienen, den schwer beschädigten Ruf des
Abkommens aufzupolieren und für einen baldigen Abschluss von TTIP zu werben, das seit Sommer
2013 verhandelt wird.
Dieser Termin wurde von lauten Protesten eines breiten Bündnisses verschiedenster
gesellschaftlicher Gruppen begleitet. Im Zentrum des Protestes stehen fehlende Transparenz
der TTIP Verhandlungen und eine Verhandlungsagenda, die einseitig auf Deregulierung und
Investoren-Schiedsgerichte setzt, zu Lasten von Demokratie, Umwelt, und Verbraucher*innen.
Gegen diese Pläne sind schon im Herbst 2015 in Berlin etwa 250.000 Menschen auf die Straße
gegangen. Am europaweiten Aktionstag gegen TTIP und CETA am 17.9.2016 gingen in sieben
deutschen Städten erneut über 320.000 Menschen auf die Straße. Bündnis 90/Die Grünen halten
die Proteste und die Kritik an den Verhandlungen für begründet und notwendig und
unterstützen sie ausdrücklich.
Die öffentliche Kritik zwingt die EU-Kommission aber auch die Bundesregierung zum Handeln.
Als ersten Schritt wurden Anfang 2016 Leseräume eingerichtet, in denen die Abgeordneten
Einsicht in die konsolidierten Verhandlungstexte nehmen konnten. Doch die Bedingungen der
Einsichtnahme sind mangelhaft und zentrale Dokumente zu vielen Abkommen sind weiter unter
Verschluss. Und durch die Geheimhaltungsverpflichtung können die Abgeordneten nicht über
ihre gewonnenen Erkenntnisse sprechen. Damit ist ein zentraler Teil ihrer politischen Arbeit
behindert. Transparenz sieht anders aus.
Bündnis 90/Die Grünen erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Kritik und Vorbehalte
der Bürgerinnen und Bürger endlich ernst nimmt und sich aktiv für einen Stopp der
Verhandlungen einsetzt. TTIP für „tot“ zu erklären, wie es der SPD-Vorsitzende und
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel tut, während munter weiter verhandelt wird, ist eine
Täuschung der Öffentlichkeit und lenkt von der eigenen Inaktivität ab.
Keine Klageprivilegien für Konzerne
Nach Auffassung von Bündnis 90/Die Grünen darf es in Handels- und Investitionsabkommen der
EU keine Sonder-Klagerechte für Großkonzerne geben. Deshalb ist auch das ausverhandelte
CETA-Abkommen für uns nicht zustimmungsfähig. Die sogenannten „Investor-Staat-
Schiedsgerichte“ werden immer häufiger von internationalen Konzernen dazu genutzt, Staaten
auf milliardenschwere Entschädigungszahlungen zu verklagen. Oft zielen diese Klagen dabei
auf Regulierungen zum Umwelt- oder Verbraucher*innenschutz oder auf Regulierungen zum
sozialen Ausgleich. Jüngstes Beispiel ist die Klage des kanadischen Energiekonzerns
TransCanada gegen die USA. Weil die USA aus Umweltschutzgründen den Ausbau der Keystone-
Ölpipeline untersagt hatten, reichte TransCanada kürzlich eine Klage vor einem Investor-
Staat-Schiedsgericht ein und verlangt Schadensersatz in Höhe von 15 Milliarden US Dollar.
Bündnis 90/Die Grünen halten solche Investor-Staat-Schiedsgerichte für einen gefährlichen
Weg. Der Deutsche Richterbund wie auch sein Europäischer Dachverband haben jüngst Zweifel an
der Rechtmäßigkeit geäußert. Die Praxis der Vergangenheit hat gezeigt, wie
missbrauchsanfällig dieses System ist. Hierzu gehören weit interpretierbare und einseitig
auslegbare Rechtsbegriffe, hohe Verfahrenskosten, die sich oftmals nur Großkonzerne leisten
können, mangelnde Transparenz der Verfahren, keine Berufungsinstanz und mangelnde
Unabhängigkeit der Richter.
Die EU, Die USA und Kanada verfügen über funktionierende und an rechtstaatlichen Grundsätzen
ausgerichtete Justizsysteme. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum es ein System
braucht, das ausländischen Investoren ein exklusives, zusätzliches Klageprivileg einräumt,
welches inländischen Investoren, anderen gesellschaftlichen Gruppen oder dem Staat selbst
nicht zur Verfügung steht. Investor-Staat-Schiedsverfahren schaffen zudem eine
Parallelstruktur zum nationalen Recht, indem es weder einen Vorrang des nationalen
Rechtsweges gibt, noch jemals ein nationales Gericht mit dem Rechtsstreit befasst gewesen
sein muss.
Gleichzeitig erhalten Investoren die Möglichkeit, parallel sowohl nationale Gerichte als
auch internationale Schiedsgerichte mit ein und derselben Klage anzurufen. Das führt in
einigen Fällen zu widersprüchlichen Urteilen. Zudem sind die zugrunde liegenden
Investitionsschutzverträge einseitig auf den Schutz von Investitionen ausgerichtet, zu
Lasten von anderen Rechtsgütern, wie etwa Umweltschutz oder Sozialstandards.
Der angesichts der massiven Kritik vorgelegte und in CETA auch enthaltene Vorschlag der EU-
Kommission zu einem „Investment Court System“ (ICS) ist nur ein Feigenblatt statt der
angekündigten grundlegenden Reform des ISDS-Systems. „Der Deutsche Richterbund (DRB) hat
erhebliche Zweifel an der Kompetenz der EU für die Einsetzung eines ICS. Durch das ICS würde
nicht nur die Rechtssetzungsbefugnis der Union und der Mitgliedsstaaten eingeschränkt, auch
das etablierte Gerichtssystem innerhalb der Mitgliedsstaaten und der EU würde geändert
werden“ so der DRB (1*). Zwar werden einige Verbesserungen aufgegriffen, etwa die Einführung
einer Berufungsinstanz, Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz bei Schiedsverfahren und
zur transparenteren Besetzung der Schiedsrichter*innen. Danach handelt es sich bei „ICS“ im
Kern weiterhin um die alten Schiedsgerichte im neuen Gewand. Denn der Vorschlag enthält die
gleichen Klageprivilegien, die Konzernen auch unter ISDS eingeräumt werden. Auch die
Klagegründe, die als Basis für Schiedsgerichtsverfahren dienen und oft missbräuchlich
interpretiert werden, wie etwa „faire und gerechte Behandlung“ oder „legitime Erwartungen“,
stecken genauso im ICS-Vorschlag. Es bleibt bei einer verzerrten Anreizstruktur für
Richter*innen, im Zweifel zu Gunsten der Konzerne zu entscheiden, da sie nach wie vor ihr
Haupteinkommen über Prozesstage erwirtschaften und nur Konzerne Klagen anstreben können. Es
bleibt bei einer zu breiten Definition des Investitionsbegriffs und es bleibt dabei, dass
die Regulierungshoheit der Staaten nicht uneingeschränkt gewährleistet wird, sondern nur für
„legitime Politikziele“ gewahrt sein soll. Die ordnende Rolle des Staates wird unter
Schadensersatzvorbehalt gestellt.
Aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen ist dies kein ausreichender Ansatz zur Lösung der
elementaren Probleme, die durch das System der Schiedsgerichte entstehen. Da die
Schiedsgerichte in den Verträgen weder notwendig noch sinnvoll sind - und die vielen damit
verbundenen Probleme durch Detailreparaturen nicht verbessert werden können, müssen sie
konsequenterweise vollkommen aus den Verhandlungen bzw. Verträgen gestrichen werden.
Neben diesen Ablehnungsgründen stellt sich auch die generelle Frage der Notwendigkeit
solcher Schiedsinstanzen – selbst mit Verfahrens-Reformen, wie etwa dem von der EU-
Kommission vorgeschlagenen Investment Court System. Bereits jetzt enthalten rund ein Drittel
der bestehenden Investitionsschutzverträge, die Deutschland abgeschlossen hat, keinen
Investor-Staat-Schiedsmechanismus. Investitionen in diese Länder sind trotzdem durch den
Vertrag besonders geschützt und können beispielsweise durch eine öffentliche
Investitionsgarantie abgesichert werden. Wir fordern, alle bisher abgeschlossenen
Investitionsschutzverträge nachzuverhandeln, mit dem Ziel, die Vereinbarungen zu den
Investor-Staat-Schiedsgerichten aus den Verträgen zu entfernen.
Darum brauchen wir aber einen multilateralen Ansatz damit eine ausgewogene Rechtsprechung
stattfinden kann, die nicht einseitig Investoreninteressen den Vorrang gegenüber
Gemeinwohlinteressen gibt.
Starke Schutzstandards: Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik
Ein weiterer, hoch umstrittener Punkt im Rahmen der Diskussion um TTIP und CETA ist die
Frage, wie diese Abkommen die Angleichung unterschiedlicher Standards auf beiden Seiten des
Atlantiks regeln wollen. Mit der gegenseitigen Anerkennung und Harmonisierung von
Produktstandards und Regulierungsvorschriften soll der Marktzugang für Produkte und
Dienstleistungen erleichtert werden, die untervöllig anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen
und grundsätzlichen Unterschieden in der Zulassungsmethodik produziert wurden.
Kritisch ist dieses Vorhaben deshalb, weil die Abkommen sehr sensible Bereiche betreffen –
europäische und nationale Regelungen im Bereich Verbraucher-, Umwelt-, und Datenschutz, im
Lebensmittelrecht und in der Gentechnikgesetzgebung sowie Gesundheit, Soziales, Kultur und
Finanzmarktregulierung. Die EU-Kommission verspricht zwar, die Abkommen würden europäische
Standards in sensiblen Bereichen und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip nicht in Frage
stellen. Der vorliegende CETA-Vertragstext sowie die bislang bekannten Dokumente aus den
TTIP Verhandlungen sprechen jedoch eine andere Sprache. Die in CETA vereinbarte
Regulierungskooperation im Bereich der Gentechnik hat beispielsweise ausdrücklich die
„effiziente Zulassung“ zum Ziel, nicht etwa eine vorsorgeorientierte Prüf- und
Zulassungspraxis. Vorhaben wie die Kennzeichnung von Fleisch- und Milchprodukten, bei deren
Erzeugung die Tiere mit Gentech-Futter gefüttert wurden, könnten nach Unterzeichnung von
CETA nicht mehr umgesetzt werden. Und schon die laufenden Verhandlungen haben in der EU eine
Absenkung von Standards bewirkt: beispielsweise die Aushebelung der Bestimmungen der
Kraftstoffqualitätsrichtlinie, die die Einfuhr von Öl aus den besonders umweltschädlichen
kanadischen Teersanden regulieren sollte.
Zudem ist zu befürchten, dass bereits die vereinbarten Zollsenkungen in den Abkommen in
sensiblen Bereichen einen Wettbewerbsdruck schaffen, der zu einer Verdrängung von Produkten
und Dienstleistungen mit hohen Standards durch Produkte, die unter schlechteren Standards
hergestellten wurden und damit billiger sind, führen könnte. Verschärfter Wettbewerb zu
Lasten der Beschäftigten bzw. der Standards in den genannten Bereichen wäre absolut
inakzeptabel. Besonders kritisch sind Zollsenkungen im Agrarbereich, insbesondere bei
tierischen Produkten, wenn nicht parallel gemeinsame hohe Standards z.B. beim Tierschutz
vereinbart werden. Die jüngsten Enthüllungen über die Zustände in den Ställen hoher
Verbandsfunktionäre offenbaren, wie der Tierschutz in globalisierten Agrarmärkten zu Lasten
von Quantität und Kosteneffizienz unter die Räder kommt. Dem darf die EU-Handelspolitik
nicht durch weitere drastische Marktöffnungen Vorschub leisten.
Zudem schafft die in TTIP und CETA geplante regulatorische Kooperation ein Einfallstor für
die Interessen gut organisierter Interessensgruppen, bevor die demokratisch gewählten
Parlamente sich überhaupt mit neuen Vorschlägen zur Gestaltung der Märkte befassen können.
Auch kommunale Dienstleistungen drohen mit TTIP, CETA und TISA unter Privatisierungsdruck zu
kommen. Die in CETA enthaltenen Negativlisten halten wir für einen falschen und gefährlichen
Weg, denn neue Wirtschaftsbereiche fallen damit automatisch unter die Freihandelsabkommen.
Grundsätzlich darf die kommunale Daseinsvorsorge nicht durch Handelsabkommen geschwächt oder
gefährdet werden.
Wir Grüne kritisieren die grundsätzliche Ausrichtung der Abkommen: In der Logik von TTIP und
CETA werden Standards und Regulierungen zum Schutz von Mensch, Natur und Umwelt als
Handelshemmnisse betrachtet. Anstatt einen wirksamen Umwelt- und Verbraucherschutz als Ziel
der Verhandlungen zu begreifen, machen TTIP und CETA ihn zur Zielscheibe. Eine
regulatorische Kooperation in dieser Form und eine Marktöffnung für kommunale
Dienstleistungen lehnen wir ab.
Fehler korrigieren – fairen Welthandel ermöglichen
Der massive Protest gegen TTIP, CETA und TISA auf beiden Seiten des Atlantiks muss von der
EU-Kommission und den Verhandlungspartnern ernst genommen werden. Sie müssen die
Verhandlungen stoppen und die EU-Handelsabkommen nach diesen Maßstäben und unter
Einbeziehung der Zivilgesellschaft neu starten. Die vom Rat beschlossenen Mandate für TTIP
und TISA und CETA, sowie der vorliegende Vertragstext für CETA, zeigen in die falsche
Richtung. CETA und TTIP greifen zudem in die Kompetenzen der Mitgliedsländer und der
deutschen Bundesländer ein. Die Bundesländer haben besonders gegenüber den
Selbstverwaltungsrechten der Kommunen eine besondere Schutzverantwortung. Wir fordern zudem
die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, einer vorläufigen Anwendung dieser
weitreichenden und gesellschaftlich hoch umstrittenen Abkommen nicht zuzustimmen. Eine
vorläufige Anwendung von CETA würde Fakten auf Kosten der demokratischen Willensbildung in
den nationalen Parlamenten schaffen, massive Klagerisiken beinhalten und schwere
verfassungsrechtliche Bedenken übergehen.
Intransparente Nachverhandlungen und kosmetische Verbesserungen sind für uns nicht
akzeptabel. Wir sagen klar: Ein Abkommen, das Investor-Staat-Schiedsgerichte enthält, das
das Vorsorgeprinzip und Arbeitnehmerrechte auch nur indirekt in Frage stellt oder die
Handlungsfreiheiten der Kommunen beschränkt, ist für uns nicht zustimmungsfähig.
Wir brauchen eine andere Handelspolitik der EU. Wir wollen Handelsabkommen, die transparent
verhandelt und nach sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Kriterien ausgerichtet
sind und die die etablierten demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen nicht in
Frage stellen. Handelsabkommen müssen den genannten Maßstäben folgen und sensible Bereiche
ausklammern, solange ein Wettbewerb nach unten zu befürchten ist, dann können sie hilfreich
sein. Auch bisherige Abkommen der EU und Deutschlands, sowie weitere derzeit von der EU
verhandelte Abkommen sollen diesen Kriterien genügen und entsprechend überprüft werden. Wir
fordern eine Positivagenda zur Neubelebung der multilateralen Handelsprozesse, bei der aus
dem Scheitern früherer Versuche im Rahmen der WTO entsprechende Schlüsse gezogen werden.
Ungleichgewichte auf Kosten von Entwicklungsländern und das Fehlen ökologischer und sozialer
Kriterien müssen dabei korrigiert werden.
(1*) Stellungnahme Deutscher Richterbund Nr. 4/16 Februar 2016
Begründung
erfolgt mündlich
Weitere Antragsteller*innen
- Martin Häusling (KV Schwalm-Eder)
- Ulrike Höfken (KV Bitburg-Prüm)
- Bärbel Höhn (KV Oberhausen)
- Harald Ebner (KV Schwäbisch-Hall)
- Maria Heubuch (KV Wangen)
- Sylvia Kotting-Uhl (KV Karlsruhe)
- Gisela Sengl (KV Traunstein)
- Ophelia Nick (KV Mettmann)
- Lydia Enders (KV Bitburg-Prüm)
- Nils Dettki (KV Mainz-Bingen)
- Thomas Griese (KV Aachen)
- Thomas Petry (KV Birkenfeld)
- Eveline Lemke (KV Ahrweiler)
- Andreas Hartenfels (KV Kusel)
- Daniel Köbler (KV Mainz)
- Jutta Blatzheim-Roegler (KV Bernkastel-Wittlich)
- Fabian Ehmann (KV Mainz)
- Nicole Besic-Molzberger (KV Koblenz)
- Jaime Timoteo-Gonzalez (KV Breisgau-Hochschwarzwald)
Änderungsanträge
- V-31-160 (Sven Giegold (KV Düsseldorf), Eingereicht)
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