Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | SO Sozialer Zusammenhalt |
Antragsteller*in: | Leon Schettler |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 29.09.2016, 15:56 |
SO-05 (vormals V-20): Gerechte internationale Institutionen: Voraussetzung für Frieden, Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt weltweit!
Antragstext
Grundlage Grüner Politik ist die Überzeugung, dass allen Menschen die gleiche Achtung und
Rücksichtnahme gebührt, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter oder ihrem Geschlecht.
Dabei ist es moralisch gesehen keine geringere Tragödie, wenn einem Menschen im Mittelmeer
etwas zustößt, als wenn das in Deutschland passieren würde. So wenig die zufällige Geburt in
ein bildungsfernes Elternhaus schlechte Berufsperspektiven rechtfertigt, so wenig kann die
zufällige Geburt in ein bestimmtes Land eine kurze Lebenserwartung, Hunger und Armut
rechtfertigen.
Die Grüne Idee der `erweiterten Gerechtigkeit´ verweist auf die Notwendigkeit, den Radius
unseres Gerechtigkeitsanspruchs zu erweitern. Das gilt in sozialer, zeitlicher und
räumlicher Hinsicht. Die soziale Dimension begründet etwa unseren Einsatz für Teilhabe- und
Geschlechtergerechtigkeit, während unsere Forderung nach Generationengerechtigkeit der
zeitlichen Dimension entspricht. Räumlich bedeutet erweiterte Gerechtigkeit, dass
Gerechtigkeit nicht an den Grenzen von Ländern oder Kontinenten endet. Internationale
Gerechtigkeit ist eine Grundvoraussetzung für Frieden, sowohl im engeren Sinne der
Abwesenheit kriegerischer Gewalt als auch im weiteren Sinne einer friedvollen,
wohlgeordneten Kooperation der Menschen. Die drastische ökonomische, ökologische und soziale
Ungerechtigkeit der Weltordnung trägt in vielerlei Hinsicht zu Krieg und Gewalt bei. Frieden
weltweit setzt hingegen eine gerechte globale Grundstruktur voraus. Die Zeit ist gekommen,
diese Struktur zu gestalten!
Eine grüne Konzeption globaler Gerechtigkeit fußt auf der Idee gleicher, effektiver
Verwirklichungschancen individueller Menschenrechte. Deutsche, europäische und
internationale Politik unterliegt der Pflicht, allen Menschen den Zugang zu gerechten
Institutionen zu verschaffen, die ihre Menschenrechte effektiv schützen. Institutionen
verstehen wir als formelle und informelle Spielregeln der Gesellschaft, welche in Form von
Regeln, Normen und Praktiken die Erwartungen an menschliches Handeln formulieren und die mit
ihnen verbundenen Rechte und Pflichten festlegen. Der Fokus auf Institutionen folgt aus der
Einsicht, dass sie es sind, welche auch die Handlungsoptionen globaler Akteure strukturieren
und so eine globale soziale Ordnung erzeugen. Es sind daher vor allem Institutionen, die
letztlich zur Durchsetzung der Menschenrechte in der Lage sind. Gleichzeitig werden viele
der Probleme und Konflikte erst durch internationale Institutionen erzeugt. Das
internationale Recht auf Asyl, das Agressionsverbot zwischen Staaten, Friedensmissionen
sowie Triple-A-Rankings und Klima-Zertifikate gehen allesamt auf internationale
Institutionen zurück.
Wie auf nationaler Ebene sind Institutionen demnach auch global eine notwendige
Voraussetzung für ein gerechtes Gemeinwesen und daher ein zentraler Gegenstand grüner
Gerechtigkeitsforderungen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Staat bleibt die
Institution, die am besten geeignet ist, den Menschenrechtsschutz zu gewährleisten. Staaten
bleiben daher die primären Adressaten von Gerechtigkeitsforderungen. Doch wirken
internationale Institutionen auf Staaten ein und lenken die Aktivitäten von
gesellschaftlichen Akteuren, Parlamenten und Machtpersonen. Diese Struktur verteilt die
Grundrechte und Pflichten sowie die Früchte der gesellschaftlichen Zusammenarbeit. Die
Lebenschancen der Bürger*innen werden weltweit tiefgreifend durch sie geprägt. Aktuell ist
die Grundstruktur so beschaffen, dass Chancen auf ein erfülltes Leben ungerechtfertigt
extrem ungleich verteilt sind. Das muss sich unbedingt ändern.
Der Fokus auf gerechte Institutionen bedeutet nicht, dass wir als Bürger*innen im Privaten
jeglichen Pflichten entbunden wären. Für uns Grüne war schon immer klar: das Private ist
politisch! Neben öffentlichen Institutionen kommt es daher auch darauf an, dass wir uns
durch unser Verhalten im Alltag für eine gerechtere Welt einsetzen. Dazu gehört es,
Engagement für gerechte Verhältnisse zu unterstützen und zu fördern. Ohne solidarische,
verantwortungsbewusste Bürger*innen kann ein friedliches und nachhaltiges Miteinander nicht
funktionieren. Entsprechend ist der globale Frieden ohne verantwortungsbewusste globale
Bürger*innen nicht denkbar.
Das Primat Grüner Friedenspolitik: die globale Verwirklichung der Menschenrechte
Die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte ist in sich wertvoll und für uns das Primat
internationaler Politik, sie bildet jedoch gleichzeitig auch die Grundlage für den Frieden.
Für uns stehen die Menschen im Mittelpunkt der Politik. Das Konzept der Menschenrechte
besagt, dass alle Menschen aufgrund ihres Menschseins mit gleichen und unveräußerlichen
Rechten ausgestattet sind. Wir treten für ein weites Verständnis der Menschenrechte ein, das
sich auf drei Ebenen erstreckt: Es umfasst die liberalen Abwehrrechte der Bürger*innen, die
in erster Linie dem Schutz der persönlichen Freiheit dienen. Hohe Bedeutung wird dabei dem
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Folterverbot zuteil. Zudem sollen
auch demokratische und soziale Rechte geschützt sein, die einen Anspruch auf einen
menschenwürdigen Standard vermitteln. Dazu gehören auch die Gleichberechtigung aller
Menschen und das Recht auf Selbstbestimmung. Auch kollektive Menschenrechte sehen wir
umfasst, mittels derer beispielsweise das Recht auf Entwicklung und das Recht auf eine
saubere Umwelt geschützt werden. Es gehört nach unserer Ansicht zur Pflicht der Staaten, die
Menschenrechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Wir setzten uns für den Schutz
und die Stärkung dieser Menschenrechte hier und auf internationaler Ebene ein.
In erster Linie hat sich die deutsche Politik demnach zur Durchsetzung der Menschenrechte
verpflichtet. Im Konfliktfall, müssen politische Bündnisse hinter dieser Pflicht
zurücktreten. Die Gewährung von Überflugrechten an die USA zwecks menschenrechtswidriger
Gefangentransporte ist damit nicht vereinbar. Die Zurückweisung von Asylsuchenden in
menschenrechtswidrige Flüchtlingsunterkünfte ebenso wenig. Im Sinne einer globalen
moralischen Arbeitsteilung ist Deutschland darüber hinaus zum Aufbau und zur Unterstützung
einer gerechten Grundstruktur verpflichtet. Zentral sind hierbei die Weiterentwicklung des
internationalen Rechts sowie die Reform internationaler Organisationen im Geiste der
Menschenrechte. Wo staatliche und internationale Organisationen ihren menschenrechtlichen
Verpflichtungen (noch) nicht nachkommen, müssen in nächster Instanz auch private Akteure,
die über umfangreiche Kapazitäten verfügen (z.B. große Unternehmen), in die Pflicht genommen
werden.
Dabei ist uns wichtig, dass es nicht darum geht, anderen Staaten die Wertvorstellungen der
„westlichen Welt“ aufzuoktroyieren. Vielmehr müssen wir einen ständigen inklusiven Diskurs
suchen, um eine starke Legitimation zu schaffen und um auch mit neuen Herausforderungen
umgehen zu können.
Es gibt eine Vielzahl an internationale Menschenrechtsabkommen. Nur auf Papier allein sind
alle Abkommen und Vereinbarungen noch nicht viel wert. Denn formal Rechte zu haben ist nicht
identisch mit ihrem effektiven Gebrauch. Die äußerst ungleiche Anwendung internationalen
Rechts ist eine seiner größten Schwächen. Auch Deutschland und die Europäische Union (EU)
machen sich immer wieder dieser Ungleichbehandlung schuldig. Völkerrechtsverstöße und
Menschenrechtsverletzungen missliebiger Staaten werden verurteilt und sanktioniert, während
ebenso schwere Verbrechen von „Verbündeten“ häufig stillschweigend toleriert, politisch
gedeckt oder gar durch Überflugrechte, Basennutzung und Waffenlieferungen überhaupt erst
möglich gemacht werden. Das Ergebnis ist eine massive Schädigung des Völkerrechts, das
deshalb in weiten Teilen der Welt als Recht der Stärkeren wahrgenommen wird. Die Tatsache,
dass es täglich in aller Welt zu Menschenrechts-verletzungen kommt, zeigt, dass Rechte immer
wieder eingefordert und verteidigt werden müssen. Es gab und gibt weltweit viele mutige
Menschen und Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Diesem Engagement
möchten wir unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen. Doch ohne starke internationale
Institutionen, die sich der Verwirklichung der Menschenrechte verschreiben, wird ihr
effektiver Schutz nicht möglich sein.
Aufbruch in eine Welt legitimen Regierens – die Menschenrechtsbindung und Demokratisierung
globaler Governance Institutionen
Internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen (VN), der Internationale
Strafgerichtshof (IStGH) oder die multilateralen Entwicklungsbanken, aber auch die
Regionalorganisationen sind wichtige Errungenschaften, da sie internationale Kooperation
ermöglichen und zur Lösung globaler Probleme beitragen.
Doch es gibt Reformbedarf! Während bereits etablierte Institutionen wie der VN
Sicherheitsrat, die Welthandelsorganisation, die Weltbank und der Internationale
Währungsfond historisch gewachsene, nicht gerechtfertigte Ungleichheit perpetuieren, stellen
neuen Institutionen wie die „Asian Infrastructure and Investment Bank“ (AIIB) oder die „New
Development Bank“ (NDB) vor neue Herausforderungen in unserem Bestreben nach
unterstützungswürdigen internationalen Institutionen. Allgemein haben internationale
Institutionen in den vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich an Autonomie gegenüber ihren
Mitgliedstaaten gewonnen. Rund zwei-drittel dieser Institutionen sind heute in der Lage,
Mehrheitsentscheidungen zu fällen welche tief in nationale Angelegenheiten hineinreichen.
Vielen fehlt es an effektiven Standards zum Schutz der Menschenrechte. Demokratisch
legitimiert sind sie nicht. Auch die Zunahme quasi-juristischer Verfahren untergräbt das
Recht auf demokratische Selbstbestimmung der Menschen.
Ein demokratischer Weltstaat ist nicht in Sicht. Eine Rückkehr zu nationalstaatlichem
Konsensprinzip ist bei anhaltenden Trends weder realistisch, noch wünschenswert: globale
Probleme erfordern handlungsfähige, globale Institutionen welche den rein
nationalstaatlichen Gemeinwohlhorizont überwinden. Wir setzen uns daher konsequent für
Rechenschafts-Mechanismen ein, welche unabhängig und effektiv die Mitsprachemöglichkeit
derjenigen Subjekte ermöglichen, die unmittelbar vom Handeln einer internationalen
Organisation betroffen sind. Rechenschaft („Accountability“) meint hier 1) eindeutige, an
den Menschenrechten orientierte Standards des IO-Handelns, 2) Transparenz, welche die
Einhaltung der Standards ermöglicht, sowie 3) effektive Sanktionsmöglichkeiten. Der globalen
Zivilgesellschaft sollte bei der Überwachung dieser Standards eine entscheidende Rolle
zukommen. Konkret beinhaltet diese Forderung, dass die deutsche Bundesregierung sich für
eine Menschrechtsverpflichtung internationaler Organisationen, an Menschenrechten und
Umweltschutzstandards orientierte „Safeguards“ sowie für effektive Beschwerde-mechanismen im
Falle der nicht-Einhaltung einsetzt. Zudem fordern wir, dass Deutschland sich für die
effektive Beteiligung der Parlamente sowie der globalen Zivilgesellschaft in internationalen
Organisationen einsetzt. Erstens beinhaltet dies strenge Regeln zur Einbeziehung nationaler
Parlamente in wichtige Entscheidungen der Organisation. Zweitens fordern wir Standards für
Deliberationsprozesse, an denen die Zivilgesellschaft effektiv beteiligt wird. Nur durch die
explizite Menschenrechtsbindung internationaler Institutionen können Menschenrechte
geschützt werden. Nur durch die Institutionalisierung von anspruchsvollen und inklusiven
Deliberationsprozessen, die Rückbindung zentraler Entscheidungen an nationale Parlamente
sowie sanktionsbewährte Rechenschaftspflichten können wir ein notwendiges Minimum
demokratischer Legitimität von IO-Handeln sicherstellen. Nur so können wir letztlich auch in
Zeiten der „global Governance“ mündige Bürger bleiben.
Konkret wollen wir unter anderem die Zusammensetzung und Funktionsweise des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen reformieren. Die Privilegierung einzelner Staaten durch ein Vetorecht
spiegelt die Machtkonstellationen zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts wieder. Diese
Struktur ist undemokratisch und aus der Zeit gefallen. Eine Reform wird nicht einfach sein,
doch sie muss immer wieder angemahnt werden. Der missbräuchliche Umgang mit dem eigenen
Vetorecht durch ständige Mitglieder kann zurzeit nicht juristisch verhindert werden. Aber
ein solches Verhalten muss deutlichen politischen Gegenwind erfahren. Deutschland und die EU
sollten außerdem dahingehende Reformbestrebungen unterstützen. Ein Ansatzpunkt dafür ist die
französische Initiative für einen freiwilligen Verzicht auf das Veto bei schweren
Gräueltaten. Auf keinen Fall darf Deutschland eine Reform durch Ambitionen auf einen eigenen
ständigen Sitz erschweren.
Für die gescheiterte Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WHO) muss ein neuer Anlauf
gemacht werden, um entwicklungshemmende Handelsbarrieren und marktverzerrende Subventionen
abzubauen.
Auch die WHO ist dringend reformbedürftig. In den vergangenen Jahren stand sie für
Handelsliberalisierung und Deregulierung und versäumte es, Handelspolitik mit international
verbindlichen Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt in Einklang zu bringen.
Entwicklungsländer müssen die Möglichkeit erhalten, ihre heimische Wirtschaft zu schützen,
insbesondere damit diese Länder ihre Ernährungssouveränität sichern können. Darüber hinaus
müssen die Zölle in der EU auf verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern abgeschafft und
marktverzerrende EU-Subventionen abgebaut werden.
Einen erfolgsversprechenden Ansatz für internationales Konfliktmanagement und nachhaltigen
Frieden sehen wir in der fortschreitenden Institutionalisierung und Förderung von
Friedensmediation. Deutschland muss sich dafür einsetzen, die Methoden und Instrumente der
Friedensmediation weiter zu entwickeln und entsprechende Ressourcen zu ihrem Einsatz bereit
zu stellen. Dazu gehört insbesondere eine umfassende Förderung der Mediationskapazitäten
(„Mediation Support Units“) der VN, EU und OSZE, sowie eine Reform dieser Institutionen,
welche eine bessere Koordination und Wissenstransfers ermöglicht. Parallel zu einer
stärkeren internationalen Institutionalisierung sollte Deutschland auch verstärkt lokale
Strukturen fördern, um durch die systematische Einbindung von lokalen Mediator*innen ein
kontextspezifisches, maßgeschneiderten Designs von Mediations-prozessen zu gewährleisten.
Begründung
Wir wollen mit diesem Antrag programmatisch die grüne Idee globaler Gerechtigkeit konkretisieren. Im Anschluss an den grünen Gerechtigkeitsbegriff im nationalen Kontext, sind Institutionen auch weltweit von herausgehobener Bedeutung für unsere Politikziele. Wir wollen daher im Sinne einer „globalen moralischen Arbeitsteilung“ für gerechtere internationale Institutionen kämpfen. Denn starke, gerechte Institutionen sind die Voraussetzung für Frieden, sozialen Zusammenhalt und letztlich einen gleichen, effektiven Menschenrechtsschutz für alle Weltenbürger*innen - dem Kern grüner Gerechtigkeit!!
Weitere Antragsteller*innen
- Leon Schettler (KV Berlin-Kreuzberg)
- Claudia Laux (KV Bernkastel-Wittlich)
- Julija Uzinova (KV Mitte-Berlin)
- Heiner v. Marschall (KV Reinickendorf)
- Astrid Rothe-Beinlich (KV Weimar)
- Andreas von Brandt (KV Berlin kreisfrei)
- Tim Glawion (KV Berlin-Mitte)
- Julian Breitschwerdt (KV Karlsruhe-Land)
- Barbra Poneleit (KV Forchheim)
- Nicole Holtz (KV Berlin-Reinickendorf)
- Ursula Streng (KV Starnberg)
- Thomas Dyhr (KV Barnim)
- Klemens Griesehop (KV Berlin-Pankow)
- F Lothar Winkelhoch (KV Oberberg)
- Ralf Henze (KV Odenwald-Kraichgau)
- Ines Advena (KV Münster)
- Anna Mebs (KV Kitzingen)
- Bernd Frieboese (KV Reinickendorf)
- Andrea Piro (KV Rhein-Sieg)
Änderungsanträge
- SO-05-022 (Bundesvorstand (dort beschlossen am: 20.10.2016), Eingereicht)
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