Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | E Zukunft Europa |
Antragsteller*in: | BAG Europa (dort beschlossen am: 29.09.2016) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2016, 18:43 |
E-04 (vormals V-56): Perspektive statt Populismus: Mit sozialem Europa Zusammenhalt stärken
Antragstext
Die Europäische Union ist eine historische Errungenschaft, ein Friedensprojekt, begleitet
von großen Hoffnungen und Erwartungen. Dazu gehören für uns soziale Gerechtigkeit genauso
wie Freiheit, Frieden und Gleichheit. Die europäische Integration lebt davon, dass die
Menschen, Regionen und Staaten solidarisch zusammenhalten. Mit der Lissabon-Strategie und
später der Europa-2020-Strategie wurde der sozialen Dimension der Europäischen Union
erstmals mit einem quantitativen Ziel Rechnung getragen. Doch leider bewegt sich die EU noch
immer viel zu langsam in Richtung einer sozialeren Union.
Um soziale Ungerechtigkeit in den Mitgliedstaaten und Europa zu überwinden und einen
Unterbietungswettbewerb der Mitgliedstaaten bei Löhnen, Steuern und Standards zu vermeiden,
wollen wir die EU in ihrer sozialen Dimension weiterentwickeln. Entscheidende
sozialpolitische Kompetenzen wie Lohnpolitik, Steuer- oder Sozialpolitik, liegen bisher fest
in nationaler Hand und halten deshalb oft nicht mit der Harmonisierung des Binnenmarktes
mit. Dies birgt das Risiko eines "race-to-the-bottom" sozialer Standards in Europa.
Unternehmen und Konzerne können die unterschiedlichen Regelungen für ihren Vorteil
ausnutzen, ohne auf die sozialen Folgen ihrer Handlungen Rücksicht nehmen zu müssen.
Bestehende europäische Erfolge im sozialen Bereich kommen andererseits leider häufig noch
nicht als solche bei den Menschen an.
Mit Mut zur Veränderung wollen wir europäische Politiken gegen soziale Schieflagen
diskutieren, bestehende Instrumente verbessern und neue Maßnahmen entwickeln. Wir sind davon
überzeugt, dass die Perspektive einer europäischen Sozialpolitik die grüne Antwort auf
chauvinistischen Populismus sein kann und muss. Dazu wollen wir
1. Bestehendes verbessern…
… und fordern, dass die Organe der EU eine stärkere Rolle beim Abbau struktureller
Arbeitslosigkeit, Armut und Ausbeutung von mobilen Arbeitnehmer*innen übernehmen können und
den Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedstaaten fördern.
Ausbeutung wollen wir verhindern, indem wirim Rahmen der Entsenderichtlinie die Durchsetzung
des Arbeitsort-Prinzips mit „gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit am gleichen Ort“ auf
Grundlage tariflicher Regelungen durchsetzen und durch mehr Kontrollen eine sofortige
vollständige arbeitsrechtliche Gleichstellung Entsandter erreichen.
Auch im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit kann die EU einen wichtigen Beitrag leisten.
Wir fordern umfangreiche finanzielle Hilfen in Form öffentlicher Programme der EU-
Mitgliedstaaten, unbürokratische Auszahlwege, die Förderung und Mobilisierung von
Jugendlichen zum Beispiel durch Fremdsprachenförderung, einen Abbau von rechtlichen Hürden
für den Arbeitsmarkteinstieg und engere Kooperation mit Jugendorganisationen. Auch die
berufliche Ausbildung muss beginnend bei der Vergabe von Praktika innerhalb eines
Qualitätsrahmens verbessert werden, der in allen EU-Mitgliedstaaten vergleichbar sein muss.
Außerdemfordern wir einen auch durch Eigenmittel gestärkten EU-Haushalt, um das
Wohlstandsgefälle zwischen Mitgliedsstaaten weiter zu verringern, europäisch gesteckte Ziele
zu erreichen und zur makroökonomischen Stabilität beizutragen sowie eine Neuordnung der
Ausgabenstruktur des EU-Haushalts. Auch die europäischen Strukturfonds müssen sich endlich
an den gemeinsamen nachhaltigen Entwicklungszielen der Union orientieren.
2. Neues schaffen…
…und wollen erreichen, dasssoziale Schutz- und Arbeitnehmer*innenrechte im EU-Recht den
gleichen Stellenwert erhalten wie die Grundfreiheiten des Binnenmarkts. Dazu wollen wir dem
Vertrag von Lissabon eine Fortschrittsklausel mittels Protokoll an die Seite stellen und
machen uns dafür stark, dass Europas soziale Dimension auch durch Vertragsänderungen
gestärkt wird.
Wir wollen die Freizügigkeit von Arbeitnehmer*innen in der EU fair ausgestalten und dafür
Willkommenszentren für EU-Bürger*innen in größeren Städten schaffen. Damit niemand durch das
Raster europäischer Sozialsysteme fällt, setzen wir uns dafür ein, dass nach einem
Aufenthalt von drei Monaten auch arbeitsuchende Unionsbürger*innen Grundsicherung beantragen
können, wenn sie zuvor eine Verbindung zum hiesigen Arbeitsmarkt aufgebaut haben.
Zudem fordern wir europäisch definierte Mindeststandards für die Gesundheitsversorgung in
allen Mitgliedsstaaten mit dem Ziel, dass alle Menschen in Europa unabhängig von ihrem
Alter, ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status und ihrem Einkommen Zugang zu
einer medizinisch guten Gesundheitsversorgung haben.
3. Weiter denken…
…indem wir im Wissen und unter Anerkennung der Vielfalt europäischer Wohlfahrtssysteme in
einen breiten Dialog mit unseren europäischen Partnern über eine künftige gemeinsame
Sozialpolitik treten wollen. Dabei setzen wir uns für eine europäische Basis-
Arbeitslosenversicherung ein, bei der Arbeitslose einen europäischen Anspruch auf eine
bestimmte Höhe des letzten Bruttogehalts für eine noch festzulegende Dauer zusätzlich zu
nationalen Ansprüchen erhalten.
Wir fordern europäisch definierte Mindeststandards für die Grundsicherung in Form einer
Mindesteinkommensrichtlinie, die festschreibt, dass allen Menschen in EU-Mitgliedstaaten ein
Existenzminimum in angemessener Höhe zusteht – abhängig vom nationalen oder regionalen
Einkommen. Zudem können wir uns ein europäisches Basis-Kindergeld vorstellen, das an alle
Kinder von Unionsbürger*innen in gleicher Höhe ausgezahlt wird und durch nationale
Sicherungssysteme ergänzt wird, die sich an den nationalen Bedarfen orientieren.
Mittelfristig können wir uns vorstellen, dass ein Grundeinkommen direkt aus einem
europäischen Topf gezahlt und durch nationale Grundsicherung ergänzt wird, die sich an die
Lebenshaltungskosten im jeweiligen Mitgliedstaat orientiert.
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