Veranstaltung: | 40. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Thomas Dyhr |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 12.09.2016, 12:07 |
V-05: Hohe Schutzstandards bei Arzneimittelstudien erhalten Die Menschenwürde ist auch in der Forschung unverhandelbar
Antragstext
Medizinische und pharmazeutische Forschung kann Leben retten. Sie sind notwendige
Voraussetzung für die Erforschung, Entwicklung und Zulassung neuer Medikamente und
Erkenntnisse. Gerade weil wir uns der hohen Bedeutung klinischer Studien für den
medizinischen Fortschritt im Dienste der Menschen und für den Forschungsstandort
Deutschland bewusst sind, ist es wichtig den ethischen Kompass nicht zu verlieren und die
Sicherheit der Patientinnen und Patienten stets in den Vordergrund zu stellen. Ein hohes
Schutzniveau an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist für die Probanden und
Patienten unverzichtbar.
Medizinische und pharmazeutische Forschung beruht u.a. auch auf Versuchsreihen, in denen
neue Präparate Menschen verabreicht werden, um die Wirksamkeit, aber auch die Risiken zu
testen. Todesfälle und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen bei pharmazeutischen
Reihenstudien in Frankreich oder in Großbritannien belegen, dass die Teilnahme an derartigen
Studien mit einem schweren Gefahrenpotential für Leben und Gesundheit, sowie zuweilen auch
schweren wirtschaftlichen Folgen für betroffene Probanden und ihren Angehörigen verbunden
sind.
Deswegen dürfen nach unserer Überzeugung die Risiken solcher Versuchsreihen ausschließlich
volljährigen Menschen auferlegt werden, die bei klarem Verstand nach umfassender und
nachweisbarer Aufklärung und ohne Zwang einwilligen, sie zu tragen.
Wir lehnen es dagegen ab zuzulassen, dass die Risiken einer medizinischen oder
pharmakologischen Forschungsreihe für Gesundheit und Leben Mitmenschen auferlegt werden,
die aus medizinischen oder rechtlichen Gründen nicht fähig sind, über sich Entscheidungen
zu treffen, oder diese Entscheidung für sich selber bei klarem Verstand nicht für Zeiträume
getroffen haben, in denen sie nicht mehr bei klarem Verstand sind.
Die Einwilligung von Betreuern, Vormündern oder Erziehungsberechtigten genügt uns als
Einwilligungsgrundlage nicht. Diese weitreichende Entscheidung über die Gefährdung fremden
Lebens oder Gesundheit zu treffen ist für uns ausschließlich in den Fällen akzeptabel,
wenn im Einzelfall ein akut vom Ableben bedrohter und herkömmlich austherapierter Mensch
von der Anwendung ungeprüfter Methoden oder Arzneimittel unmittelbar profitieren kann und
die Anwendung für ihn eine medizinische Chance darstellt.
Bisher ist eine sogenannte fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen
nach dem Arzneimittelrecht ausgeschlossen. Diese Regelung darf nicht aufgeweicht werden und
ist auch auf Minderjährige zu erstrecken.
Die hohen Schutzstandards, die es in Deutschland bei klinischen Studien momentan für
nichteinwilligungsfähige Erwachsene gibt, insbesondere hinsichtlich der Würde des Menschen
und seiner körperlichen Unversehrtheit, dürfen nicht verwässert werden. Bereits 2013 hat
sich der Bundestag (Drucksache 17/12183) dazu ausgesprochen, dass in solchen Fällen das
Schutzniveau für diese Personen zu erhalten ist. Von dieser Haltung darf nicht abgewichen
werden.
Das Grundrecht auf Menschenwürde verpflichtet zudem den Gesetzgeber und die vollziehende
Gewalt, allgemeinverbindliche Normen zu erlassen, die den Schutz der Menschenwürde
bestmöglich gewährleisten.Der Staat muss also nicht nur selber Eingriffe in die Würde der
Menschen unterlassen, sondern muss – auch durch seine Gerichte – darauf hinwirken, dass
sowohl die öffentliche Gewalt wie auch private Dritte die Menschenwürde eines jedes
einzelnen Menschen achten. Deshalb sind wir der Auffassung, dass eine Instrumentalisierung
von Patientinnen und Patienten nicht mit den Grundrechten der Europäischen
Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der EU vereinbar ist.
Erwägungen zur Bedeutung des Forschungsstandortes Deutschland und Interessen der Industrie
haben angesichts des Gewichtes des Menschenwürdebegriffs zurück zu stehen.
Die Menschenwürde ist universell. Die Würde des Menschen ist nicht auf Deutschland
beschränkt. Ausgehend von dieser Überzeugung lehnen wir es auch ab, dass Unternehmen oder
Forschungseinrichtungen unter Verletzung der Menschenwürde medizinische Versuche ohne
ausdrückliche, nachweisbare Einwilligung der Betroffenen in anderen Ländern unternehmen.
Wenn die Unantastbarkeit der Menschenwürde aufgeweicht wird, ist ein rechtlicher und
ethischer Dammbruch die unmittelbare Folge. Dem kann von unserer Seite aus nur ein
glasklares NEIN entgegengehalten werden!
Eine Entmachtung der Stellung unabhängiger Ethikkommissionen bei der Bewertung und
Genehmigung des Designs von Versuchsreihen lehnen wir ab. Ablehnende Stellungnahmen von
Ethikkommissionen müssen auch weiterhin zwingender Ablehnungsgrund von Anträgen auf Studien
bleiben. Würde die starke Stellung der Ethikkommissionen im Verfahren aufgeweicht, würden
internationale Standards der ärztlichen Ethik unterschritten werden können. Wir setzen uns
dafür ein, dass auch in Zukunft die Ethikkommissionen vollumfänglich ihre Aufgaben erfüllen
können, die Forschung in ethischer und rechtlicher Hinsicht zu beraten, zu kontrollieren
und zu beaufsichtigen und so die Rechte und die Sicherheit der Probandinnen und Probanden im
Sinne der Deklaration von Helsinki zu schützen.
Alle unerprobten neuen Medikamente sind als "high-risk" zu deklarieren, um die maximale
Sicherheit in Versuchsprotokollen zu erzwingen. Beim Auftreten unerwarteter Nebenwirkungen
müssen sofort alle weiteren Schritte gestoppt werden.
In der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April
2014 wird die Regelung der Bedingungen des Schadensersatzes gegenüber Prüfungsteilnehmern
der nationalen Gesetzgebung zugewiesen. Nach derzeitiger Rechtslage unterliegen die
Probandinnen und Probanden bei Schädigung der kaum erfüllbaren Beweispflicht und die
obligatorischen Probandenversicherungen decken nur Körperschäden der Probandinnen und
Probanden, nicht jedoch Schäden von Sekundärgeschädigten oder Schmerzensgeld ab.
Wir fordern zur Verbesserung des Schutzes der Probandinnen und Probanden die Festlegung
einer gesetzlichen Kausalitätsvermutung, sowie die Einbeziehung Sekundärgeschädigter, die
Erweiterung des Schutzes von Probandenversicherungen auf Schmerzensgeld und die Anpassung
der Haftung bei klinischen Versuchen an die Haftung nach § 84 AMG.
Wir streben zudem in Ergänzung der bereits bestehenden haftungsrechtlichen Voraussetzungen
eine Umkehr der Beweislast bei juristischen Auseinandersetzungen um Schadensersatz an,
sobald die derzeit nicht vorhandenen europarechtlichen Voraussetzungen für eine solche
Beweislastumkehr geschaffen sind.
Trotz der bestehenden strengen Regelung mit einem hohen Schutzniveau für
Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer ist Deutschland bei der Anzahl klinischer
Studienprojekte führend in Europa. Das in Deutschland bestehende und grundrechtlich gebotene
Niveau zum Schutz der Prüfungsteilnehmerinnen und Prüfungsteilnehmer ist kein Hindernis für
erfolgreiche Forschungsvorhaben; es ist eine Grundvoraussetzung. Die international
anerkannten ethischen Grundsätze für die Forschung am Menschen dürfen deshalb auch in
Zukunft nicht infrage gestellt werden.
Begründung
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Weitere Antragsteller*innen
- Kerstin Dehne (KV München)
- Anna Mebs (KV Kitzingen)
- Sven Giegold (KV Düsseldorf)
- Ute Koczy (KV Lippe)
- Thomas Schäfer (KV Bremerhaven)
- Monika von der Brüggen (KV Frankfurt)
- Jan Erdmann (KV München)
- Uwe Rottermund (KV Höxter)
- Lothar Winkelhoch (KV Oberberg)
- Andreas Knoblauch (KV Salzgitter)
- Dorothea Martin (KV Barnim)
- Mike Kess (KV Oder-Spree)
- Peter Rauscher (KV Augsburg-Stadt)
- Judith Libuda (KV Uelzen)
- Andreas Kubesch (KV Calw)
- Claudia Laux (KV Bernkastel-Wittlich)
- Hubert Nowak (KV Rottweil)
- Dr. Rudolf Beyer (KV Altenkirchen)
- Ursula Nonnemacher (KV Havelland)
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